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Die morawische Nacht

Die morawische Nacht

Titel: Die morawische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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auch kein Seufzen mehr zu Gehör, sowie er die Geschichte mit der Frau anfing, die er einmal fast totgeprügelt hätte. Das Lächeln kam vielleicht auch daher, daß er mit dem Anfangssatz spürbar übertrieb, was sonst so gar nicht seine Sache war, oder in seinen eigenen Worten: »keine Kunst«. Spürbar weiter, daß er darauf aus war, die Geschichte – »sie steht für einige andere, ist nur deren Extrem« – kurz zu halten. Auch Gewalt war angeblich nicht seine Sache. »Und die eigene?« (Stille Frage des sonst so lauten Zwischenrufers.)
    Der Kampf brach, wieder einmal, los, als er auf einer Buchexpedition war. Und, wie so oft, fühlte er sich, unterwegs, seiner Sache gar nicht sicher und immer wieder fern von einem Recht. Er behauptete das an manchen Tagen nur und suchte danach, wenn auch bloß in einem einzigen Satz, und war dann besonders angreifbar, schon indem er sich in seinem Tun verschanzte, als ginge es dabei für ihn um Leben und Tod. Und in seiner Vorstellung ging es leibhaftig um Leben und Tod, um Sein oder Nichtsein, mochte das Buch auch nichts als ein weiteres Buch werden – weiß der Himmel, oder der Teufel, warum das so um ihn bestellt war. Die Frau dagegen wollte dieses Drama nicht gelten lassen, zumal er sein Recht, das hatte sie im Gespür, ja nur behauptete. Nein, nicht einmal besessen war dieser Mann von seiner Sache, bloß schwach. Das konnte doch seine Sache nicht sein. Sie wußte zwar von seinem Kampf. Aber sie wollte davon nichts wissen. Und sie griff ihn an. Und ihr Angreifen, das bestand darin, daß sie ihm den Weg versperrte, den Weg zum Buch, täglich. Sie tat das nicht in böser Absicht. Sie konnte nicht anders. Angesichts dieses Mannes, der sie von morgens bis abends als seine Widersacherin behandelte – nicht einmal behandelte, ihr nur auswich, mit Ausflüchten noch und noch –, blieb ihr keine andere Wahl. Es sollte herauskommen, daß er ein zweifach Unfähiger war, vor ihr, der Frau, und erst recht vor seiner erlogenen Liebe, dem Buch. Und wenn er daran saß, oder das vorgab, mußte sie, ob sie wollte oder nicht, den Kampf fortsetzen. Der war dabei nicht einmal ein erklärter. Es war im Grund auch kein Kampf. Gegen den an seinem Tisch eingeigelten Menschen da war ein Kämpfen gar nicht möglich. Was sie ihm antat, war eher ein Stören, ein unwillkürliches, konvulsivisches, ein umso erbarmungsloseres. Jeder Vorwand war ihr recht, an seine Tür zu klopfen oder von draußen, sagen wir, Steinchen an sein Fenster zu werfen, oder, wenn sie ihm gerade am Telefon ein gutes Arbeiten gewünscht hatte, ihn gleich noch einmal anzurufen mit der Frage, ob er schon fertig sei, und eine Minute später wieder, und wie lange sie noch auf ihn warten solle, undsofort. Und in den Nächten ließ sie ihn, dessen Devise gleichsam war »Ich bin einer, der weggeht«, nicht und nicht gehen, sperrte ihm gar die Ausgangstür ab, und wenn er dann nicht anders konnte, als zu bleiben, ließ sie ihn nicht schlafen, so nicht und so nicht, ihn, der, wieder einer seiner Sprüche, unterwegs zum Buch den Schlaf und die Träume als seine Bedenkzeit brauchte. Und wenn es ihm, nach inständigem Bitten, ja Anflehen, einmal gewährt wurde, heimzukehren in sein Zimmer, an seinen Tisch – was für ihn, den gerade in diesen Perioden so Schwachen, buchstäblich ein Heimkehren war so mußte er gewärtig sein, daß die Frau, nach seinem ersten Aufatmen in den vier Wänden, sich unverzüglich wieder bei ihm einstellte. Das Telefon durfte er nicht abstellen. Täte er das, dann stünde sie nämlich im Nu leibhaftig vor seiner Tür. Und wenn er es einfach läuten ließe? – geschähe nach einer Stunde des ununterbrochenen Klingelns das gleiche – ein paar Momente nach dem endlichen Auflegen, wieder »im Nu«, als habe diese Frau Flügel, würde ihre Stimme, so zart wie erbarmungslos, seinen Namen draußen durch die stille Nacht schallen lassen, so lange, bis er ihr öffnete.
    Und eines Nachts, als er zuletzt öffnete, war es dann so gekommen, daß er in derselben Sekunde auf die Frau, ohne sie überhaupt anzuschauen, losstürzte und auf sie einprügelte. Fast war es, als sei sie darauf aus gewesen, denn sie ließ es geschehen, schützte weder den Körper noch das Gesicht. Noch nie hatte er jemanden so geschlagen wie diese Frau. Selbst als sie hinstürzte, konnte er nicht einhalten, trat sie, und es war ihm egal, wohin. Und mittendrin war er nah dran, das Bündel da vor ihm zu packen und kurzerhand auf einen lanzettartig

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