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Die morawische Nacht

Die morawische Nacht

Titel: Die morawische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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noch ins Freie und blies nach Kräften den Klöppel der Bootsglocke an – vergeblich – kein Ton. Und zurück im Salon kam er uns erst lang und breit von seinen Irrwegen, immer noch in Galizien, tief im Landesinnern, wohin er sich weg von der Küste, der Brandung, den Leuchttürmen, den Resten der Ölpest, angesichts derer keine Fortsetzung seines Unternehmens sich zeigte – denn als ein solches sah er doch seine Rundreise –, davongemacht hatte, auf der Suche nach einer fast jahrtausendalten Kirchenruine. »Und dort«, unterbrach ihn unser bewährter Zwischenfrager, »bist du also auf eine Frau gestoßen? Im Regen? Im Sturm? Was hatte sie an? Ihre Augenfarbe? Ihr Teint? Schuhgröße? Beruf? Alter? Geschwister? Vorname der Mutter? Gut im Bett? Kann sie kochen? Lieblingsautor? Lieblingsbaum? Lieblingsname? Lieblingssternbild? Nach was roch sie? Hatte sie Geld dabei? Wieviel?«
    Er tat dem Frager nicht den Gefallen, zur Sache zu kommen, holte vielmehr noch aus, weiter und weiter. Nicht nur die erste seiner Frauengeschichten war eine falsche gewesen. Sämtliche seiner Frauengeschichten – ah, wenn es sich wenigstens um Geschichten gehandelt hätte – während seiner Schreiberzeit waren falsch, nicht die eine mehr, die andere weniger, sondern grundfalsch, alle. Indem er dem Schreiben versprochen war, oder sich jedenfalls ihm versprochen dachte, versprach er der und der Frau, auch wenn er in Person gar nichts dazutat, etwas, das er nicht, und auch kein anderer an seiner Stelle, halten konnte. Er hatte als der Schreiber, als der er sich verstand, kein Recht, zugleich mit einer Frau zu sein. Er durfte keiner Frau Mann sein. Es war eine Täuschung, wenn eine Frau meinte, der Schein, oder das Strahlen, das augenblicksweise von seiner Person, dauerhafter freilich von seinen Sätzen, ausging, gelte ihr. Und so gerieten sie beide, als Paar, jeweils in die Falle. Sie glaubte, er sei es. Und er glaubte es zunächst, wider besseres Wissen – »ah, ich wiederhole mich!« sagte er –, auch. Dann aber, gleich, »schon am nächsten Morgen – nein, im Einswerden schon, mittendrin«, die Entzweiung. Ich bin es nicht. Ich war es nicht. Er täuschte das Paarsein bloß noch vor. Er spielte es, und manchmal sogar mit einem diebischen oder räuberischen Vergnügen.
    Immer neu ging ihm auf, und immer zu spät, daß er, in seiner Idee vom Schreiben, gleichsam anders gedreht war. Er hatte ein Dritter zu sein, und nicht Teil eines Paars. Eine schwere, schwere Schuld lastete dann jedesmal auf ihm, und zeitweise, die Frau in den Armen, brannte es in ihm wie von einer Verdammnis (»ah, ich kann da nicht anders als mich wiederholen!«).
    Solche Schuld empfand er einzig gegenüber seinem Schreiberleben. Nicht, daß dieses die Liebe überhaupt ausschloß – im Gegenteil, so seine dann allmählich langjährige Erfahrung: Doch es verlangte, »bei Seelentodesstrafe«, ein Leben jenseits der Geschlechterliebe. Die Frau, ohne das mindeste Schuldbewußtsein, verheimlichte er, nicht bloß vor der Außenwelt, sondern auch vor sich selber. Und ebenso war er, wenn er von ihr sein Schreiberdasein bedroht wähnte (»oh, Wahn!«), ohne Zögern – etwas, wo er, der Zögerer, keinmal zögerte – bereit, die Frau zu verraten, sie zu verleugnen, wenn nötig dreimal dreißigmal, sie, koste es, was es wolle, wenn nur mein Schreiben weiterginge, sich vom Leibe zu schaffen. In jeder Frau hatte er während seiner »Urheberzeit« seinen Feind gewittert. Und wenn er den dann abtat und von sich entfernte, so mit Überzeugung, seines Rechts gewiß.
    Indem er die Frau in seiner Nähe als einen Feind beargwöhnte, wurde sie es auch. Und ihre Feindschaft hieß, tätig zu werden, allerdings nicht als Feind seiner Person, sondern seiner Sache. Wenn diese ihn dazu brachte, daß er sie vorschob, um sie, die Frau, aus seiner Nähe zu haben, dann konnte sie, die Sache, nichts Rechtes sein. Statt seine Sache zu lieben, war er von ihr besessen, und die Besessenheit mußte ihm ausgetrieben werden. Und so begann der Kampf zwischen der Frau und ihm, beiderseits ohne bösen Willen, eher hilflos, und umso erbarmungsloser. Denn beiden ging es um ihr, um das Recht, und so gab eine Verletzung die andere. Gern hätte er davon leichteren Herzens, seinetwegen auch komischer gesprochen, doch das kam nicht in Frage, es sei denn, man empfand seinen Übergang ins sozusagen handfeste Erzählen jetzt schon für sich als einen Moment der Komik. Jedenfalls lächelte er leicht und brachte uns

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