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Die morawische Nacht

Die morawische Nacht

Titel: Die morawische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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(mag sein, daß gerade das zum Hindernis wurde?) – und wiederum: siehe oben. Offenbar war also der Hausherr, mochte er das Schreiben auch für immer sein gelassen haben, von seiner Geräuschkrankheit doch nicht geheilt? Diese hatte sich inzwischen sogar noch verschlimmert und hinderte ihn, wie früher am Bücherschreiben, jetzt am Reden? Der geringste, der harmloseste Laut konnte in seinen Ohren als Störgeräusch ankommen, ihm den Mund verschließen, ihm die Kehle zudrücken, ihm den Rede-Atem verschlagen? Und selbst ein Geräusch, aus dem jeder sonst etwas Offenes, Freundliches, dem Sprecher rückhaltlos Gewogenes herausgehört hätte, einen Ton, den Ton der selbstlosen Erwartung, ja, einen Einklang von vorneherein, kappte ihm auf der Stelle die Atemwege, materialisierte sich als ein Fremdkörper in seiner Luftröhre? Dabei hatte er ziemlich robuste Ohren, mit einer vielfach gewundenen, nach innen gleichsam in konzentrischen Schutzwällen verstärkten Muschel, wie geschaffen zum Lauschen – richtige Lauscher.
    Was den Ex-Autor schließlich dann gleichwohl zum Sitzenbleiben, zum Reden, zum Erzählen brachte, das war in jener Nachtstunde auf der Morawa die Gefahr. Bevor diese eingriff, hätte er, scheint mir, selbst aus unserem Atemanhalten ein Störgeräusch herausgehört. Gefahr? Die könnte er sich auch bloß eingebildet haben, oder hat er vielleicht Zeichen gesehen, die gar keine waren. Zeichen? Von der Transbalkanautobahn schwenkte unversehens ein Scheinwerfer durch die jenseitigen Auen her über den Fluß, mit einem Licht, so stark, daß es kaum von den Lasttransportern stammen konnte – die im übrigen (die Autobahn beschrieb dort keine Kurve) alle doch geradeaus fahren mußten? Und hier an unserem Ufer, in dem Moment dieses Lichts, zwischen den diesseitigen Aubäumen und -sträuchern, die Gestalt, eine weibliche, die auf das Boot zu zielen schien wie mit einer Waffe, bei leeren Händen, mit einem Mienenspiel, welches Schußgeräusche, mehrere hintereinander, unhörbare, vermittelte? Eingebildete Gefahr? Zeichen, die keine waren? Wie auch immer: Das, scheint mir, schubste den ehemaligen Autor endlich hin zum Reden; das machte ihn gesprächig; oder ließ das Erzählen sprechen. War das in den Feldern tatsächlich ein Rehbock, der wie wutentbrannt und zugleich so jämmerlich in die Nacht brüllte? Die Eule, die jetzt rief, war das eine wirkliche Eule? (Seltsame Zeit, da man meinte, so vielen Wörtern ein »wirklich« und »tatsächlich« zugesellen zu sollen.) Er überhörte eins wie das andere, und desgleichen auch den Knall, mit dem nebenan in der Küche dann etwas zu Boden fiel, das Quietschen, als einer von uns seinen Stuhl verrückte, das Gehuste des einen und anderen Zuhörers, ein Husten, wie es nur von den balkanesischen Tabakblättern, auch wenn die längst eingerollt waren in alle die Weltmarken, ausgelöst werden konnte.
    Dabei war gar nicht er es, der mit der Erzählung, der nachtlangen, immer wieder unterbrochenen, dann auch an einer anderen Flußstelle fortgesetzten und im Tagwerden auf einem anderen Fluß – nicht mehr der Morawa – beendeten, von seiner sogenannten Rundreise begann. Die ersten Sätze kamen, auf Aufforderung des Bootsherrn, von demjenigen unter uns, der seinerzeit zusammen mit ihm aufgebrochen war. »Sag du. Fang du an.« Der Anfang gemacht, fiel der Ex-Autor mit ein. Einige Sätze lang redeten die zwei unisono, beinah jedenfalls. Wenn sich ein Widerspruch zeigte, so kaum im Erzählten, etwas häufiger bei diesem und jenem Wort. Solche spärlichen Widersprüche jedoch, bei denen es sich in der Regel um ganz Nebensächliches, um Kleinigkeiten, um nichts und wieder nichts drehte, wurden, das muß gesagt werden, ausgefochten mit einer wie trotzigen Grundsätzlichkeit; was die Erzähl-Dinge betraf, von beiden Seiten; was die einzelnen Wörter betraf, von dem Gastgeber, der sich in der Hinsicht wohl weiterhin, trotz Verlassen seines Berufs, für eine von niemand aus unserem Kreis zu bezweifelnde Autorität hielt.
    Schon während der Vorredner seine einleitenden Sätze sprach, schien er dann und wann etwas zu notieren, offensichtlich jeweils nur ein einziges Wort. Erstmals seit langem sahen wir anderen ihn so, unvorsätzlich, einen Stift hervorziehen und etwas niederschreiben. Fast geschah das gegen seinen Willen, denn er steckte das Schreibzeug ein jedesmal sofort wieder weg. Ja, war es ihm sogar peinlich, so gesehen zu werden?
    So ging das mit dem Erzählen von den Etappen oder

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