Die morawische Nacht
Stationen seiner Rundreise die ganze Nacht: Seine jeweiligen Begleiter bekamen von ihm das Zeichen, anzufangen, und er? übernahm, sowie sie ihm den Einsatz gegeben hatten. Zwischendurch, für ein, zwei Passagen, vor allem solche, wo er selber tätig geworden war, hieß er sie dann weitererzählen, so daß die zwei verschiedenen Stimmen, hätte man sie vielleicht aus der Ferne vernommen, für diese Momente und Übergänge etwas von einem Zwiegespräch, einem Dialog vermittelten, einem harmonischen, wie er wohl gerade zu so einer Flußnacht paßte – der aber, siehe die Wortklaubereien des Hauptredners, umspringen konnte in etwas Ungestümes, fast Schrilles, wie Wutentbranntes: Schrie dort draußen auf dem Schiff jemand Zeter und Mordio? Würden dort gleich die ersten Schüsse fallen? Wie konnten all die stillen Töne nur so stracks weggewischt werden von einem derartigen Gebelfer? (Das dann freilich jeweils von so kurzer Dauer war, daß man aus der Distanz vielleicht meinte, sich verhört zu haben – hatte dort drüben bloß ein Schiffspapagei losgegellt?) Und was hätte man vielleicht noch aus der Ferne vernommen? Von den Uferbäumen im Wind nachtlang die Selbstlaute, und vom Erzähler auf dem Boot die Mitlaute, wie eine Antwort, wie eine Ergänzung. Selbstlaute der Bäume? Im Grunde immer wieder nur ein a: a – a – a …
Manche Etappen oder Kapitel der Rundreise erzählte der Bootsherr ohne eine Zweitstimme. Es handelte sich dabei um die Strecken quer durch Europa, wo er sich allein gefunden hatte, was der Fall war besonders bei den letzten, vor unserer Zusammenkunft nahe Porodin, dem Ausgangs- wie dem Endpunkt (Punkt?) der Reise. Keinerlei jähes Lautwerden unterbrach da mehr den Erzählgang. Nicht nur stiller und stiller hörte sich die Stimme des Alleinsprechers an, sondern gleichmäßiger, ja, dann geradezu vollkommen gleichmäßig. Zittrig war sie dabei. Gab es denn das, still und zittrig in einem? Ja, das gab es, einen stillen zittrigen gleichmäßigen Erzählfluß, fern von einem Brustton, und doch nah? Und diese Zittrigkeit, rührte sie von dem, was ihm allein-unterwegs zugestoßen war, oder von den wechselnden gegenwärtigen, wirklichen oder vermeintlichen Bedrohungen? Oder von beidem? Vorrangig allerdings schien uns Zuhörern die jetzige Gefährdung: Würde er aus dem Gleichmaß geraten, wäre es um ihn und wäre es um uns andere geschehen, wie bei einer Kolonne, die auf einer Schnee-Eis-Brücke eine Gletscherspalte zu überqueren versucht und wo der Vordermann, auch nur für eine Sekunde, das Gewicht anders verlagert. Und im Lauf jener Nacht steckte er uns mit seiner Zittrigkeit an: dem zittrig-stillen Erzähler entsprachen wir zittrig-stillen Zuhörer. Und im ersten Tagwerden, als die Farben auf dem inzwischen fahrenden Boot anfingen hervorzutreten, fühlten wir uns schließlich dann auch mitverantwortlich für ein etwaiges Bedrohtsein, sahen dieses, beinahe, gerechtfertigt: Denn war die Tatsache, daß der Eigner seine »Morawische Nacht« nicht bloß mit der übergroßen Flagge eines längst versunkenen oder abgestunkenen Landes ausstaffiert, sondern darüber hinaus das ganze Boot, von unten bis oben zum Rauchfang, in der Horizontalen mit den ominösen Farben bemalt hatte, etwas anderes als eine, zu dem bestimmten Zeitpunkt jedenfalls, gefährliche Provokation? Als »Enklave« wollte er sein Bootshaus sehen, als autoproklamierte Exterritorialität? Wollte er nicht wahrhaben, daß es zu jener Zeit längst keine Enklaven mehr geben durfte? Daß etwas Derartiges, und mit ihm jedes »Enklavendenken«, »verpönt« war?
Noch und noch Hindernisse forderte er für sein Unternehmen heraus, oder, was auf das Gleiche hinauslief, er bildete sich diese ein. Ohne die Hindernisse oder Probleme hätte jene Erzählnacht keinen Sinn bekommen. Von dem, dessen er sich dann allmählich – nicht sofort – bewußt und gewiß wurde, war unter keinen Umständen, und sei es noch so widrigen, mehr zu lassen. Er hatte mit seinem Umkreisen durchzukommen (was nicht hieß, daß sich die Kreise, oder auch ein einziger Kreis, schließen mußten). Es ging mit den Stunden, mit der Zeit, um etwas, beim Himmel, bei – wer weiß was. Immer entschlossener zeigte er sich, immer herausfordernder, immer unbeirrbarer, immer ausschließlicher; mehr und mehr nah an einer Art von Fanatismus. Es war dann, als könne nichts, aber auch gar nichts die Unternehmung abbrechen. Blitz und Donner hätten sie eher noch mit einer zusätzlichen
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