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Die Morde des Herrn ABC

Die Morde des Herrn ABC

Titel: Die Morde des Herrn ABC Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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wahr. Das Gegenteil davon entsprach den Tatsachen?»
    «Betty war ein anständiges Mädchen», sagte Megan langsam, «das möchte ich festhalten. Sie hatte keine Weekendfreunde oder ähnliches. Aber sie ging gern aus, sie tanzte leidenschaftlich gern und – ach, alle die billigen Komplimente und Aufmerksamkeiten machten ihr viel Freude.»
    «War sie hübsch?»
    Diese Frage, die ich nun schon zum dritten Mal hörte, erfuhr jetzt eine praktische Antwort. Megan ging zu ihrem Köfferchen, ließ das Schloss aufschnappen und nahm etwas heraus, das sie Poirot überreichte.
    Das Brustbild eines lachenden blonden Mädchens steckte in einem ledernen Fotorahmen. Helles Haar, das offensichtlich eben erst neue Dauerwellen bekommen hatte, stand in einem Wald gekräuselter Locken um den Kopf. Das Lächeln wirkte gewollt und künstlich. Kein Gesicht, das man schön nennen konnte, das aber einer billigen und bewussten Hübschheit nicht entbehrte.
    Poirot gab Megan das Bild zurück.
    «Sie sehen Ihrer Schwester gar nicht ähnlich, Mademoiselle.»
    «Ach, ich bin das Aschenbrödel der Familie, das weiß ich seit jeher.» Diese Tatsache schien sie längst als unwichtig und unabänderlich hingenommen zu haben.
    «In welcher Art genau benahm sich Ihre Schwester – hm – unklug, wie Sie sagten? Vielleicht in Bezug auf Donald Fraser?»
    «Ja, allerdings! Don ist ein ruhiger Mensch, aber er – natürlich hätten ihm gewisse Dinge nicht gepasst, und dann…»
    «Dann?»
    Poirot sah das Mädchen unverwandt an.
    Vielleicht bildete ich mir das nur ein, aber mir schien es so, als überlegte Megan eine Sekunde, was sie antworten sollte.
    «Ich fürchtete, dass er sie endgültig fallen lassen könnte. Und das wäre wirklich sehr, sehr schade gewesen. Er ist ein anständiger, arbeitsamer Mensch und wäre Betty bestimmt ein guter Mann geworden.»
    Poirot behielt das Mädchen fest im Blick; aber sie errötete nicht, sondern sah ihm ihrerseits genauso ruhig in die Augen, wobei ihr Ausdruck wieder etwas enthielt, das mich an ihr anfängliches spöttisch-verächtliches Benehmen erinnerte.
    «Ich verstehe», sagte Poirot nach kurzer Stille. «Sie wollen nicht länger offen und ehrlich mit uns sprechen.»
    Sie zuckte die Achseln und wandte sich der Tür zu.
    «Was ich tun konnte, um Ihnen zu helfen, habe ich getan.»
    «Einen Augenblick, Mademoiselle!» Poirots Stimme hielt sie auf. «Ich habe Ihnen noch etwas zu sagen. Kommen Sie, bitte.»
    Widerwillig, schien mir, kehrte sie um und ging gehorsam zum Tisch zurück.
    Zu meiner Überraschung setzte Poirot dem Mädchen die ganze Geschichte von den ABC-Briefen auseinander, erzählte ihr von dem Mord in Andover und dem Fahrplan, den man bei beiden Leichen gefunden hatte. Über mangelndes Interesse bei seiner Zuhörerin konnte er sich wahrlich nicht beklagen. Mit halb offenem Mund und glühenden Blicken hing sie an seinen Lippen.
    «Ist das alles wahr, Monsieur Poirot?»
    «Ja, das ist die volle Wahrheit.»
    «Und Sie glauben wirklich, dass meine Schwester von irgendeinem mordlüsternen Geistesgestörten getötet worden ist?»
    «Davon bin ich überzeugt.»
    Sie holte tief Atem.
    «O Betty! Betty! – Wie… grauenvoll!»
    «Sie sehen, Mademoiselle, dass Sie mir die Auskünfte, die ich von Ihnen erbitte, ganz unbesorgt geben dürfen, ohne fürchten zu müssen, dass jemand dadurch Schaden erleidet.»
    «Ja, das sehe ich jetzt ein.»
    «Dann wollen wir uns also weiter unterhalten. Ich vermute, dass dieser Donald Fraser möglicherweise zu Heftigkeit und Eifersucht neigt. Stimmt das?»
    Megan Barnard antwortete klar und ruhig.
    «Ich habe jetzt Vertrauen zu Ihnen, Monsieur Poirot, und ich werde Ihnen die volle Wahrheit sagen. Don ist, wie ich schon erwähnte, ein ruhiger Mensch – zugeknöpft, wenn Sie verstehen, wie ich es meine. Er kann nicht immer ausdrücken, was er fühlt, aber im Grunde seines Herzens ist er schrecklich empfindlich. Auf Betty war er sehr eifersüchtig.
    Er liebte sie heiß, und Betty hatte ihn bestimmt auch sehr gern; aber es war nicht Bettys Art, neben dem einen Menschen, den sie liebte, niemanden mehr zu beachten. Sie war einfach anders. Jeder gut aussehende Mann, der sie bewundernd ansah und von dem sie voraussetzte, dass er mit ihr ausgehen würde, fiel ihr sofort auf. Und im Café verkehrten natürlich genügend Männer, im Sommer vor allem. Sie besaß ein flottes Mundwerk, und wenn man sie neckte, hatte sie stets eine Antwort parat. Und dann traf sie sich eben manchmal mit diesen

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