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Die Morde des Herrn ABC

Die Morde des Herrn ABC

Titel: Die Morde des Herrn ABC Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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wurden; aber auch das war für mich noch keine Antwort auf die wesentlichste Frage: Warum musste ABC diese Morde begehen?»
    Megan Barnard setzte sich gerade auf.
    «Gibt es nicht so etwas wie… wie Blutdurst?», fragte sie.
    «Richtig, Mademoiselle, sehr richtig. Das gibt es. Mordgier, die Freude am Töten. Aber diese Erklärung passte wieder nicht zu den übrigen Gegebenheiten des Falles. Ein Wahnsinniger, der Freude am Morden hat, geht im Allgemeinen darauf aus, möglichst viele Opfer umzubringen. Darin liegt seine Besessenheit. Und zu diesem Zweck versucht er, seine Taten tunlichst zu verbergen, nicht, sie in großem Stil publik zu machen. Wenn wir die vier Toten näher betrachten – oder sagen wir drei von ihnen, denn ich weiß eigentlich nicht viel über Mr. Downes oder Mr. Earlsfield –, dann fällt uns auf, dass der Mörder, wenn er es gewollt hätte, sie hätte umbringen können, ohne dass der geringste Verdacht auf ihn gefallen wäre. Franz Ascher, Donald Fraser oder Megan Barnard, möglicherweise auch Mr. Clarke – das wären die Hauptverdächtigen gewesen, sofern sie nicht ihre Unschuld hätten beweisen können. Niemand hätte an einen unbekannten blutrünstigen Mörder gedacht! Warum also hielt es der Mann für nötig, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken? Warum fühlte er sich bemüßigt, bei jedem Leichnam einen ABC-Fahrplan zurückzulassen? Liegt vielleicht darin die Erklärung für seine Taten? Irgendein Komplex, der mit diesem Fahrplan in Verbindung steht?
    Dieser Punkt schien mir lange Zeit vollkommen undurchsichtig. Es konnte doch ganz gewiss nicht Großmut sein, und ebenso wenig ein Zurückschrecken davor, dass ein Unschuldiger für die Untaten zur Rechenschaft gezogen werden könnte!
    Und obwohl ich diese wichtigen Fragen nicht beantworten konnte, spürte ich, dass ich Schritt für Schritt den Mörder besser kennen lernte.»
    «Inwiefern?», fragte Donald Fraser.
    «Nun, erstens erkannte ich, dass sein Verstand ausgesprochen systematisch funktionierte. Seine Verbrechen genau nach Alphabet zu ordnen, schien ihm ungemein wichtig zu sein. Andererseits schien er in der Auswahl seiner Opfer keinerlei Gesetzen zu folgen. Mrs. Ascher, Betty Barnard, Sir Carmichael Clarke – drei Menschen aus völlig verschiedenen Lebenskreisen. Auch bezüglich Geschlecht und Alter war nirgends ein Zusammenhang zu entdecken, und gerade das berührte mich merkwürdig. Wenn ein Mensch so skrupellos mordet, dann schafft er meistens jemanden beiseite, der ihm in irgendeiner Weise im Wege steht. Aber das alphabetische Vorgehen bewies, dass diese Folgerung auf unseren Fall ebenfalls nicht zutraf. Dann gibt es eine andere Art von Mördern, die sich auf Typisierung ihrer Opfer festlegen – und zwar meistens Vertreter des anderen Geschlechts töten.
    Im Vorgehen ABCs fiel mir also vor allem eine gewisse Zufälligkeit auf, die mit seinem sonst so schematischen Planen in Widerspruch zu stehen schien. Ich verlegte mich darauf, rein gefühlsmäßig dem Wesen dieses ABC näher zu kommen. Er ist ganz bestimmt ein – wenn ich mich so ausdrücken darf! – Mensch mit einem Fahrplanhirn. Das sind Männer viel häufiger als Frauen. Kleine Buben haben an Eisenbahnen mehr Freude als kleine Mädchen. Also konnte diese Vermutung auch darauf hinweisen, dass ABC in seiner geistigen Entwicklung irgendwie stehen geblieben war, dass er in mancher Hinsicht noch sehr jungenhaft reagierte.
    Der Tod von Betty Barnard brachte mir weitere Erkenntnisse. Die Art ihres Sterbens war besonders aufschlussreich für mich. (Verzeihen Sie mir, Mr. Fraser!) Erstens war sie mit ihrem eigenen Gürtel erwürgt worden – ergo muss diese Tat jemand begangen haben, mit dem sie auf freundschaftlichem Fuße stand. Sobald ich ihren Charakter etwas näher kennen gelernt hatte, konnte ich mir ein recht deutliches Bild von diesem Vorgang machen.
    Betty Barnard flirtete gern. Die Aufmerksamkeit eines gut aussehenden Mannes schmeichelte ihr. Also muss ABC – der sie zu diesem Spaziergang überreden konnte – von angenehmem Äußeren und gewandt im Umgang sein. Er hat mit einem Wort Sex-Appeal! Ich stellte mir die Szene am Strand so vor: Der Mann bewundert Bettys Gürtel. Sie löst diesen und legt ihn sich spielerisch um den Hals – er lacht und sagt: ‹Jetzt könnte ich dich erwürgen!› – Ein lustiges Geplänkel – er zieht…»
    Donald Fraser sprang auf. Er war totenblass.
    «Monsieur Poirot! Um Gottes willen…»
    Poirot machte eine besänftigende

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