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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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Gedicht
durch den Kopf. Nur, wer war sie denn? Jemand, der geliebt hatte und
zurückgewiesen worden war; eine Tochter, die ihren Eltern Schmerz und
Enttäuschung bereitet hatte; und nun, bald, eine Mutter, die nichts wußte.
    Und doch bedauerte sie nichts. Sie
war niemandem böse, nicht einmal Verena, die ihr draußen in der Toilette
flüsternd ihr Ultimatum gestellt und gedroht hatte, zu verraten, was mit ihr
los war, wenn sie Thameside nicht auf der Stelle und für immer verließ. In
gewisser Weise hatte Verena ihr einen Dienst erwiesen, indem sie ihr die
Verachtung vor Augen geführt hatte, mit der die Welt auf ihren Zustand
reagieren würde. Wenn ihr Vater, dieser strenge, aufrechte Mensch ihr als einer
gefallenen Sünderin den Rücken gekehrt hätte, so hätte Ruth das nicht ertragen
können; sie hätte das Geheimnis ihrer Ehe preisgegeben, und dann wäre ihr gar
nichts anderes übriggeblieben, als Quin zu suchen, ihn wissen zu lassen, wie es
um sie stand, ihn anzuflehen, ihr einen Platz in seinem Leben zu geben ... Und
Verena hatte ihr Versprechen gehalten; niemand auf der Universität wußte, was
geschehen war oder wo sie sich aufhielt.
    Und auch Quin konnte sie nicht böse
sein, denn er hatte keine Schuld. Er hatte gesagt: «Warte, wir müssen
vorsichtig sein.» Er hatte es sehr sanft, sehr liebevoll gesagt und dabei ihr
Gesicht mit seinen Händen umschlossen; er hatte aufstehen wollen, aber sie, sie
hatte ihn festgehalten und gesagt: «Nein, nein, du darfst jetzt nicht gehen!»
Weil sie es schon da nicht hatte ertragen können, von ihm getrennt zu sein. «Es
ist völlig ungefährlich», hatte sie versichert. «Es sind meine sicheren Tage. Ich
weiß es. Mrs. Felton hat es mir erklärt. Es ist absolut ungefährlich.»
    Sie hatte nicht gelogen; sie hatte
es geglaubt, und er hatte ihr geglaubt. Aber sie hatte sich getäuscht. Sie
hatte sich um eine ganze Woche vertan. Wieder ein Punkt für
Fräulein Lutzenholler und Professor Freud! Sie nahm es sonst immer sehr genau
mit den Daten – schuld war nur dieses verflixte sogenannte Unbewußte jenseits
aller Vernunft, das von Anfang an nichts anderes gewollt hatte, als diesem
einen Mann zu gehören.
    Selbst jetzt, da die Dorfbewohner
sie als «ledige Mutter» ächteten, da Quin sie zurückgewiesen hatte, brannte
tief unter aller Angst vor der Zukunft eine unauslöschbare Freude darüber, daß
sie sein Kind trug. Das Kind selbst allerdings machte ihr in letzter Zeit
ziemlich zu schaffen. Es schien, obwohl es ohne sie noch nicht einmal atmen
konnte, bereits einen eigenen Willen entwickelt zu haben, einen Eigensinn, der
beachtlich war. Es schien mit den Plänen seiner Mutter überhaupt nicht
einverstanden, für ihr Abenteuer der Selbstfindung nicht das geringste
Verständnis zu haben.
    Bowmont ist nur sechzig Meilen weit,
sagte es, vergnügt in ihrem Bauch herumstrampelnd. Du magst ja nicht
standesgemäß sein, aber ich bin zur Hälfte ein Somerville.
    Ich erhebe Anspruch, sagte es, auf mein
Zuhause.
    Ende November bekam Leonie Besuch von Mrs. Burtt, die
aus dem Willow weggegangen war, um in einer Munitionsfabrik zu arbeiten.
Sie brachte ein kleines Päckchen in Silberpapier mit und wirkte etwas scheu und
zaghaft, was sonst eigentlich nicht ihre Art war. «Ich hoffe wirklich, ich
störe Sie nicht», sagte sie, «aber ich – na ja, ich hab mir gedacht, Sie würden
es schon nicht in die falsche Kehle kriegen.»
    «Wie sollte ich?» fragte Leonie.
«Ich freue mich, Sie zu sehen.» Sie führte Mrs. Burtt ins Wohnzimmer, in dem
man jetzt, nachdem das Klavier hinaustransportiert war, wieder Gäste empfangen
konnte, und bot Mrs. Burtt Kaffee an, den diese dankend ablehnte.
    «Ich möchte wirklich nicht neugierig
sein», sagte sie, nachdem sie sich seltsamerweise erkundigt hatte, ob sie
ungestört seien, «aber wissen Sie, sie ist mir wirklich ans Herz gewachsen, und
die Leute sind ja manchmal so gehässig. Dabei weiß ich, was für ein gutes Kind
Ruth ist. Daß sie weggegangen ist, um es allein zu bekommen – genau das ist so
typisch für sie. Nur ja niemandem lästig fallen, nur ja niemandem wehtun. Aber
ich möchte, daß sie weiß, wie gern ich sie habe und daß ich sie nie für
schlecht gehalten habe, und darum wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie ihr das hier
von mir geben würden. Hinterher. Nicht vorher, das bringt Unglück. Erst wenn es
vorbei ist. Ich hab es selbst gestrickt.»
    Sie legte das Päckchen auf den
Tisch, und Leonie, die plötzlich kaum noch atmen konnte,

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