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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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war hingerissen von ihr, und Fleury
hätte sie jederzeit um den Finger wickeln können. Er hatte noch keinen Mann
kennengelernt, der Ruth nicht mochte, und als sie jetzt die Gangway heraufkam,
drehte sich ein Matrose, der gerade hinunterging, interessiert nach ihr um.
    «Ruth!»
    «Heini!»
    Sie lagen einander in den Armen. Er
fühlte ihr Haar an seiner Wange, die Wärme, die Vertrautheit.
    «Du hast ja geweint, Liebling.» Er
war fürsorglich, wischte ihr die Tränen mit den Fingern ab.
    «Ja, aber das macht nichts. Es ist
schon wieder gut. Ich hab uns auch was mitgebracht. Eine herrliche
Überraschung. Es war der reine Zufall, daß ich sie mitten im Sommer gefunden
hab, aber schau mal!»
    Sie beugte sich zu ihrem Korb
hinunter und nahm eine braune Tüte heraus, die sie ihm in die Hände legte.
Heini spürte die Wärme, noch ehe er die Tüte aufmachte, und lächelte. «Maroni!
Ach Ruth, das erinnert mich an so vieles.»
    Er nahm eine Kastanie heraus,
beinahe war sie zu heiß, um in der Hand gehalten zu werden, betrachtete die
aufgesprungene Schale, das runzlige, geröstete Fruchtfleisch, atmete den
köstlichen Duft. Beide waren sie jetzt wieder in der Stadt, in der sie
aufgewachsen waren, im Winter in der Kärntner Straße, die warme Tüte in der
Hand ... Ruth hatte sie oft in ihren Muff gesteckt, um sie warm zu halten, wenn
sie ihn vom Konservatorium abholte. Einmal hatten sie drei Tüten vertilgt,
während sie in einem Schlitten durch den verschneiten Prater gefahren waren.
    «Ich schäl dir eine», sagte Ruth.
Geschickt löste sie die Kastanie aus ihrer Schale und hielt sie ihm hin, wie sie
ihm früher am Grundlsee die Walderdbeeren hingehalten hatte oder ein aus der
Speisekammer ihrer Mutter stibitztes Stück Marzipan.
    «Wollen wir sie mit hinunternehmen?»
meinte er.
    «Nein, essen wir sie hier, Heini.
Bleiben wir oben am Wasser.» Und so blieben sie nebeneinander an der Reling
stehen und leerten die Tüte.
    «Ist dein Gepäck schon an Bord?»
fragte Heini. «Wir fahren in weniger als einer Stunde ab.»
    «Es ist alles erledigt», sagte Ruth.
Sie schloß ihn in die Arme, und wieder fühlte er ihre Tränen. «Aber ich muß dir
noch etwas sagen, Liebster.»
    Keiner vergaß jemals, wo er sich am Morgen des dritten
September aufgehalten hatte.
    Pilly, die ohne auf die
Prüfungsergebnisse zu warten zum Frauencorps der Royal Navy gegangen war, hörte
Chamberlains quäkende Stimme in der Marinekaserne in Portsmouth. Janet hörte
sie im Pfarrhaus ihres Vaters an dem Tag, an dem sie sich zum Erstaunen aller
mit seinem Hilfspfarrer verlobt hatte.
    Die Bewohner von Nummer 27 hörten
die Nachricht, daß Großbritannien sich mit Deutschland im Krieg befand, am
Radio in Zillers Zimmer, und ihre Gesichter
drückten alle das gleiche aus: Erleichterung, daß die faulen Kompromisse
endlich ein Ende hatten und sogleich das Begreifen, daß sie nun endgültig von
den Verwandten und Freunden abgeschnitten waren, die sie auf dem Kontinent
zurückgelassen hatten.
    Auch von Ruth. Von Ruth, die seit
fünf Wochen in Amerika war und sich noch nicht gemeldet hatte. Aber
wahrscheinlich hatte sie geschrieben, und der Brief war infolge der unsicheren
Zeiten nur noch nicht angekommen. Und nun würde jedes Postschiff von den
U-Booten bedroht werden, die Telefonleitungen würden vom Militär requiriert
werden.
    «Ach, Kurt», sagte Leonie leise zu
ihrem Mann.
    «Denk daran, daß sie in Sicherheit
ist. Das ist das Wichtigste. Daß sie in Sicherheit ist.»
    Beinahe noch ehe Chamberlain zum
Ende gekommen war, gab es den ersten Fliegeralarm, und sie bekamen einen
Vorgeschmack auf das, was kommen würde, als Fräulein Lutzenholler mit einem
Sprung unter den Tisch tauchte und Mishak in den Garten hinausrannte, um im
Freien zu sterben. Es war falscher Alarm, aber er machte es Leonie leichter,
sich die Worte ihres Mannes zu Herzen zu nehmen. Ruth war in Sicherheit – die Mauretania war wohlbehalten in New York eingelaufen; sie hatten sich bei der
Schiffahrtsgesellschaft erkundigt. Sie selbst hatte gesagt, es könne eine
Weile dauern, ehe sie einen Brief bekämen, aber nun betete sie darum, daß Ruth
bald von sich hören lassen würde. Sie wußte, wie enttäuscht Kurt über Ruths
Prüfungsergebnisse gewesen war und über die Art, wie sie vor ihrer Abreise
ihnen beiden gegenüber auf Distanz gegangen war. Deswegen litt er jedoch kaum
weniger als sie über diese Trennung von der Tochter, die er so sehr liebte.
    Quin hörte die Nachricht erst drei Tage

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