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Die Morgenlandfahrt

Die Morgenlandfahrt

Titel: Die Morgenlandfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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hatte während der bisherigen Reisemonate, allenAnstrengungen und manchen kleinen Enttäu-schungen zum Trotz, noch niemals einen Moment der inneren Schwäche, des ernstlichen Zweifels erlebt; kein erfolgreicher Feldherr, kein Vogel im Schwalbenzug nach Ägypten konnte seines Zieles, seiner Sendung, konnte der Richtigkeit seines Tuns und Strebens sicherer sein, als ich es auf dieser Reise war. Jetzt aber, an diesem verhängnisvollen Orte, während ich den ganzen blaugoldenen Ok-tobertag lang immer und immer die Rufe und Sig-nale unsrer Wachen hörte, immer wieder die Rückkehr eines Boten, das Eintreffen einer Meldung mit wachsender Spannung erwartete, um immer wieder enttäuscht zu werden und ratlosen Gesichtern gegenüberzustehen, jetzt spürte ich zum erstenmal im Herzen etwas wie Traurigkeit und Zweifel, und je mehr diese Gefühle in mir stark wurden, desto deutlicher auch fühlte ich, daß es nicht bloß das Wiederfinden Leos war, woran ich den Glauben verlor, sondern es schien alles jetzt unzuverlässig und zweifelhaft zu werden, es drohte alles seinen Wert, seinen Sinn zu verlieren: unsre Kameradschaft, unser Glaube, unser Schwur, unsre Morgenlandfahrt, unser ganzes Leben.
    Und sollte ich mich auch täuschen, wenn ich diese Gefühle bei uns allen voraussetze, ja sollte ich nachträglich mich über meine eigenen Gefühle und inneren Erlebnisse täuschen und vieles, was in Wirklichkeit erst viel später erlebt wurde, irrtümlich auf jenen Tag zurückverlegen - so bleibt doch trotz allem die wunderliche Tatsache mit Leos Reisegepäck bestehen! Das war nun in der Tat, über alle persönlichen Stimmungen hinaus, etwas Sonderbares, Phantastisches und zunehmend Be-
    ängstigendes: noch während dieses Tages in der Schlucht von Morbio, noch während unsres eifrigen Suchens nach dem Verschwundenen vermißte bald dieser, bald jener von uns irgend etwas Wichtiges, etwas Unentbehrliches im Gepäck, und nichts davon war aufzufinden, und bei jedem vermißten Stück stellte sich heraus, es müsse sich in Leos Ge-päck befunden haben, und obwohl Leo, gleich allen unsern Leuten, nur den üblichen leinenen Träger-sack auf dem Rücken gehabt hatte, einen einzigen Sack unter damals wohl dreißig ändern Säcken, schienen doch in diesem einen, nun verlorengegangenen Sack sich alle wahrhaft wichtigen Dinge befunden zu haben, die wir auf unsrer Reise mit uns führten! Und wenn es nun auch eine bekannte menschliche Schwäche ist, daß uns ein Gegenstand im Augenblick, wo wir ihn vermissen, übertrieben wertvoll und weniger entbehrlich scheint als jeder, den wir in Händen halten, und obwohl in der Tat mancher von jenen Gegenständen, deren Verlust uns damals in der Schlucht von Morbio so sehr beängstigte, entweder nachher doch wieder zum Vorschein kam oder sich am Ende eben als gar nicht so unentbehrlich erwies - trotz alledem ist es eben doch leider wahr, daß wir damals, mit durchaus berechtigter Beunruhigung, den Verlust einer ganzen Reihe von höchst wichtigen Dingen feststellen mußten.
    Außerordentlich und unheimlich war ferner dies: Die vermißten Gegenstände, einerlei ob sie sich später wieder vorfanden oder nicht, bildeten ihrer Wichtigkeit nach eine Stufenfolge, und es fand nach und nach von dem Verlorengeglaubten immer gerade das sich wieder in unsern Vorräten vor, was wir mit Unrecht so schwer vermißt und über dessen Wert wir uns sehr getäuscht hatten. Ja, um das Eigentliche und ganz Unerklärbare schon hier ganz klar auszusprechen: Es stellten sich im Lauf der weiteren Reise zu unsrer Beschämung sämtliche in Verlust geratenen Werkzeuge, Kostbarkeiten, Karten und Dokumente als entbehrlich heraus, ja es schien geradezu, als habe damals jeder von uns seine ganze Phantasie angestrengt, um sich unwie -
    derbringliche furchtbare Verluste einzureden, als habe jeder sich bemüht, das ihm am wichtigsten Erscheinende als verloren hinzustellen und zu beweinen: einer die Reisepässe, einer die Land-karten, einer den Kreditbrief an den Kalifen, einer dies, einer jenes. Und am Ende, als Stück um Stück von dem Verlorengeglaubten entweder als gar nicht verloren oder als unwichtig und entbehrlich erkannt war, blieb eigentlich nur eine einzige Kostbarkeit übrig, ein unschätzbar wichtiges und schlechterdings grundlegendes und unentbehrliches Dokument allerdings, das tatsächlich und endgültig verloren war,- aber nun gingen die Meinungen darüber, ob dies mit dem Diener Leo verschwun-dene Dokument sich überhaupt bei unsrem

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