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Die Morgenlandfahrt

Die Morgenlandfahrt

Titel: Die Morgenlandfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Kunstgriff wäre es zu ermöglichen, wie wäre die Geschichte unsrerMorgenlandfahrt irgend erzählbar zu machen? Ich weiß es nicht. Schon dieser erste Anfang, dieser in bester Absicht begonnene Versuch führt mich ins Uferlose und Unverständliche. Ich wollte einfach aufzuzeichnen versuchen, was mir vom Verlauf und den einzelnen Begebenheiten unsrer Morgenlandfahrt im Ge-dächtnis geblieben ist, nichts schien einfacher zu sein. Und nun, da ich noch kaum etwas habe er-zählen können, bin ich an einer einzigen kleinen Episode, an die ich ursprünglich gar nicht gedacht hatte, bin ich an der Episode von Leos Verschwinden hängengeblieben und halte statt eines Gewebes ein Bündel von tausend verknoteten Fäden in Händen, welche zu schlichten und zu entwirren hundert Hände für Jahre beschäftigen würde, auch wenn nicht jedes einzelne Fadenstück, sobald man es an-faßt und leise daran ziehen will, so furchtbar spröde wäre und einem zwischen den Fingern abbräche.
    Ich kann mir denken, daß es jedem Geschichtschreiber ähnlich geht, wenn er die Ereignisse irgendeines Zeitlaufs aufzuschreiben beginnt und es mit der Wahrheit ernst meint. Wo ist eine Mitte der Ereignisse, ein Gemeinsames, etwas, worauf sie sich be-ziehen und was sie zusammenhält? Damit etwas wie Zusammenhang, etwas wie Kausalität, etwas wie Sinn entstehe, damit überhaupt irgend etwas auf Erden erzählbar werde, muß der Geschichtschreiber Einheiten erfinden: einen Helden, ein Volk, eine Idee, und muß das, was in Wirklichkeit im Namenlosen passiert ist, dieser erfundenen Einheit geschehen lassen.
    Aber wenn schon dies so schwierig ist, eine Anzahl wirklich geschehener und beglaubigter Ereignisse zusammenhängend zu erzählen, so ist es in meinem Fall noch viel schwieriger, denn alles wird zweifelhaft, sobald ich es recht genau betrachten will, alles entwischt und löst sich auf, so wie unsre Gemeinschaft, das Stärkste auf der Welt, sich hat auflösen können. Nirgends ist eine Einheit, eine Mitte, ein Punkt, um den das Rad sich dreht.
    Unsre Fahrt nach Morgenland und die ihr zu-
    grunde liegende Gemeinschaft, unser Bund, ist das Wichtigste, das einzig Wichtige in meinem Leben gewesen, etwas,woneben meine eigene Person vollkommen nichtig erschien. Und jetzt, wo ich dies Wichtigste, oder doch etwas davon, aufzeichnen und festhalten will, ist alles nur eine auseinander-scherbende Masse von Bildern, die sich in einem Etwas gespiegelt haben, und dieses Etwas ist mein eigenes Ich, und dieses Ich, dieser Spiegel erweist sich überall,wo ich ihn befragen will, als ein Nichts, als die oberste Haut einer Glasfläche. Ich lege meine Feder fort, zwar mit der Absicht und Hoffnung, morgen oder ein andresmal fortzufahren, vielmehr nochmals neu zu beginnen, aber hinter der Absicht und Hoffnung, hinter meinem ganzen unbändigen Drang nach dem Erzählen unsrer Geschichte steht ein tödlicher Zweifel. Es ist jener Zweifel, der auf der Suche nach Leo im Tal von Morbio begonnen hat. Dieser Zweifel stellt nicht nur die Frage: Ist deine Geschichte denn erzählbar? Er stellt auch noch die Frage: War sie denn erlebbar? Wir erinnern uns an Beispiele, daß sogar die Kämpfer des Weltkrieges, denen es doch wahrlich an Tatsachen-berichten, an beglaubigter Geschichte nicht fehlt, zuweilen diese Zweifel haben kennenlernen müssen.
    III

    ICH HABE, SEIT ICH DAS VORIGE SCHRIEB, MEIN
    Vorhaben nochmals und abermals in Gedanken
    umkreist und ihm beizukommen versucht. Eine Lösung habe ich nicht gefunden, ich stehe noch immer dem Chaos gegenüber. Aber ich habe mir das Wort gegeben, nicht nachzulassen, und im Augenblick, da ich dies Gelübde ablegte, überflog mich wie ein Sonnenstrahl eine glückliche Erinnerung.
    Ähnlich nämlich, so fiel mir ein, ganz ähnlich wie jetzt empfand ich damals in meinem Herzen, als wir unsere Heerfahrt angetreten haben: auch da unternahmen wir etwas anscheinend Unmögliches, auch da gingen wir scheinbar im Dunkel und rich-tungslos und hatten nicht die mindeste Aussicht, und doch strahlte in unsern Herzen, stärker als jede Wirklichkeit oder Wahrscheinlichkeit, der Glaube an den Sinn und die Notwendigkeit unsres Tuns. Wie ein Schauer lief mir der Nachklang jener Empfindung übers Herz, und für den Augenblick dieses seligen Schauers war alles erhellt, schien alles wieder möglich.

    Mag es nun gehen, wie es wolle: ich habe beschlossen, meinen Willen durchzusetzen. Auch wenn ich meine unerzählbare Geschichte zehnmal, hundert-mal von vorn beginnen muß

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