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Die Morgenlandfahrt

Die Morgenlandfahrt

Titel: Die Morgenlandfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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er von seinen Schuljahren her anhänglich geblieben war; und diesem Lehrer gelang es, den Jüngling unsere Sache wieder in jenem Lichte sehen zu lassen, in welchem sie den Unglä ubigen erscheint. Der arme Mensch kam von einem Besuche bei diesem Lehrer zurück zu unsrem Lager, in schrecklicher Erregung, mit verzerrtem Gesicht, er schlug Lärm vor dem Führerzelt, und als der Sprecher heraustrat, schrie er diesen zornig an: er habe es satt, diesen Nar-renzug mitzumachen, der uns niemals nach dem Orient bringen werde, er habe es satt, wegen dummer astrologischer Bedenken tagelang die Reise zu unterbrechen, er habe den Müßiggang, die kin-dischen Umzüge, die Blumenfeste, die Wichtig-tuerei mit Magie, das Durcheinanderwerfen von Leben und Dichtung - all das habe er übersatt, er werfe den Führern seinen Ring vor die Füße und nehme Abschied, um mit der bewährten Eisenbahn in seine Heimat und an seine nützliche Arbeit zurückzukehren. Es war ein häßlicher und kläglicher Anblick, uns zog sich das Herz zusammen vor Scham und zugleich vor Mitleid mit
    dem Verblendeten. Der Sprecher hörte ihn freundlich an und bückte sich lächelnd nach dem weg-geworfenen Ring und sagte mit einer Stimme, deren heitere Ruhe den Stürmer beschämen
    mußte: »Du hast Abschied genommen von uns und wirst also zur Eisenbahn, zur Vernunft und zur nützlichen Arbeit zurückkehren. Du hast Abschied genommen vom Bund, Abschied vom Zuge nach
    Osten, Abschied von der Magie, von den Blumen-festen, von der Poesie. Du bist frei, du bist von deinem Gelübde entbunden.«
    »Auch von der Schweigepflicht?« rief heftig der Abtrünnige.
    »Auch von der Schweigepflicht«, gab der Sprecher Antwort. »Erinnere dich: du hast geschworen, über das Geheimnis des Bundes vor den Ungläubigen zu schweigen. Da du, wie wir sehen, das Geheimnis vergessen hast, wirst du es niemand mitteilen können.«
    »Vergessen hätte ich etwas? Ich habe nichts vergessen!« rief der Jüngling, war aber unsicher geworden, und als der Sprecher ihm den Rücken kehrte und sich ins Zelt zurückzog, lief er plötzlich rasch davon.
    Er tat uns leid, doch waren jene Tage so gedrängt voll von Erlebnissen, daß ich ihn merkwürdig schnell vergaß. Nun aber geschah es eine Weile später, als wohl schon keiner von uns mehr an ihn dachte, daß wir in mehreren Dörfern und Städten, durch die wir zogen, die Einwohner von ebendiesem Jüngling erzählen hörten. Es sei ein junger Mensch dagewesen (und sie beschrieben ihn genau und nannten seinen Namen), der sei überall auf der Suche nach uns. Erst habe er er-zählt, er gehöre zu uns und sei auf dem Marsch zurückgeblieben und verirrt, dann aber habe er zu weinen begonnen und habe berichtet, er sei uns untreu geworden und entlaufen, jetzt aber sehe er, daß er außerhalb des Bundes nicht mehr leben könne, er wolle und müsse uns rinden, um den Führern zu Füßen zu fallen und ihre Ver-zeihung zu erflehen. Da und dort und immer wie -
    der wurde uns diese Geschichte erzählt; wo wir hinkamen, da war der Arme eben gewesen. Wir fragten den Sprecher, was er davon halte und was daraus werden solle. »Ich glaube nicht, daß er uns finden wird«, sagte der Sprecher kurz. Und er fand uns nicht, wir sahen ihn nicht wieder.
    Einst, als einer der Führer mich in ein vertrau-liches Gespräch gezogen hatte, faßte ich Mut und fragte ihn, wie das nun mit diesem abtrünnigen Bruder sei. Er sei doch reuig und sei auf der Suche nach uns, sagte ich, man müsse ihm doch helfen, seinen Fehler wieder gutzumachen, gewiß werde er künftig der treueste Bundesbruder sein. Der Führer meinte: »Es wird uns eine Freude sein, wenn er zurückfindet. Erleichtern können wir es ihm nicht. Er hat es sich schwer gemacht, den Glauben wiederzufinden, er wird, so fürchte ich, uns nicht sehen und erkennen, auch wenn wir dicht an ihm vorüberziehen. Er ist blind geworden. Die Reue allein hilft nichts, man kann die Gnade nicht durch Reue erkaufen, man kann sie überhaupt nicht erkaufen. Es ist schon vielen ähnlich gegangen, große und berühmte Männer sind Schicksalsbrüder dieses Jünglings gewesen. Einmal in der Jungend hat das Licht ihnen geleuchtet, einmal wurden sie sehend und folgten dem Stern, aber es kam die Vernunft und der Spott der Welt, es kam Kleinmut, es kamen scheinbare Mißerfolge, es kam Müdigkeit und Enttäuschung, und so haben sie sich wieder verloren, sind wieder blind geworden. Manche haben zeitlebens immer und immer wieder nach uns gesucht, uns aber

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