Reise in die arabische Haut
Wie alles begann …
Vor zweieinhalb Jahren lernte ich, als ich mich vier Wochen in psychiatrischer Behandlung befand, den zweiunddreißigjährigen, tunesischen Arzt Khalid Ben Amor kennen. Ganz in Weiß mit schwarzglänzenden Haaren stand er lächelnd vor mir. Seine negroiden Lippen forderten mich auf, die von ihm verordnete Beruhigungstablette einzunehmen. In diesem Augenblick war es um mich geschehen. Trotz des großen Altersunterschiedes fühlte ich mich zu ihm hingezogen. Auch er machte den Eindruck, nicht abgeneigt zu sein. Zu jener Zeit sah ich für mein Alter passabel aus. Die Leute schätzten mich mit meiner mageren Figur, den langen, blonden Haaren und meinem legeren Kleiderstil auf höchstens Ende dreißig.
Damals litt ich an manischer Depression. Was für ein Glück, dass mein neuer Lover sein Studium respektive seine Fortbildung als Psychiater kurz vorher abgeschlossen hatte. Während ich von ihm als Freund, Geliebten und Nervenarzt profitierte, gewann er eine Frau, die ein ausgezeichnetes Versuchskaninchen abgab.
Die überwiegend depressiven Episoden, ausgelöst durch ständige Mobbingattacken am Arbeitsplatz, bedrückten mich trotz Liebesglück. Darum konsumierte ich weiterhin meine Psychopharmaka, die mich aufgeweckter durch den Tag führten. Als Sachbearbeiterin in einem Elektrizitätswerk, das seinen Strom von einem Atomkraftwerk bezog, bekam ich keinen Fuß mehr auf die Erde. Mich belastete, dass ich mit meiner Arbeit die Atomlobby unterstützte. Ständige Anfeindungen sowie Streit mit den Kollegen reaktivierten die Depression und veranlassten mich, meine Arbeitsstelle aus gesundheitlichen Gründen aufzugeben. Das Arbeitslosengeld reichte aus, mich mit dem Nötigsten zu versorgen. Darum ließ ich neue Stellenangebote außer Acht und lebte von der Hand in den Mund. Nach meinem freiwilligen Sabbatjahr zogen Khalid und ich zusammen. Nun erhielt ich von meinem Geliebten finanzielle Unterstützung und langweilte mich im Laufe der Zeit. Anfangs versuchte ich, meine Freizeit mit orientalischen Kochlehrgängen auszugleichen und Habibi mit vorbildlicher Haushaltsführung zu beglücken, was mir aber nicht hundertprozentig gelang. Khalid bestand auf die tunesische Küche, die für mich ein Buch mit sieben Siegeln war. Bei nächster Gelegenheit bemerkte Khalid, dass ich mich präzise schriftlich ausdrücken konnte. Daraufhin empfahl er mir, in therapeutischer Absicht, ein Tagebuch zu schreiben. Lange Rede, kurzer Sinn. Aus Teilen dieses Logbuchs entwickelte sich ein dramatischer Krimi über Herzschmerz und Tod. Meine Leidenschaft für das Schreiben erwachte aus dem Unterbewusstsein.
Mein Leben geriet nach und nach in einen Fluss, der unbeschwert dahinplätscherte. Zeitweilig warf er hohe Wellen, allerdings ohne einen Tsunami zu initiieren.
Khalids traditionell behaftete Familie litt darunter, dass der Sohn im fernen Deutschland in wilder Ehe mit einer Fremden lebte. Deshalb verzichteten wir darauf, unverheiratet seine Heimat zu besuchen.
Nach knapp zwei Jahren erhielt Khalid die begehrte freie Oberarztstelle und bat mich, seine Frau zu werden. Nach einigen Überlegungen sah ich mit meinen fünfzig Jahren über unseren kulturellen, religiösen und traditionellen Unterschied hinweg. Da die Altersdifferenz kaum noch eine Rolle im gemeinsamen Leben spielte, schworen wir uns im Februar 2010 standesamtlich ewige Liebe und Treue.
Die Zeit war reif, Khalids tunesische Wurzeln kennenzulernen. Deshalb buchte er für uns einen zweiwöchigen Honeymoon in der Touristenstadt Sousse, die in greifbarer Nähe seines kleinen Heimatortes Beni Hassen liegt.
Hier beginnt meine abenteuerliche Geschichte, die mein Leben einerseits zutiefst bereicherte, andererseits außerordentlich strapazierte. Manchmal sogar zu viel ...
Honeymoon – die Reise beginnt
Kann man Glück begreifen? Im stillen Kämmerlein bedanke ich mich bei Jesus, dass er mir meinen tunesischen Seelenverwandten gesandt hat und unsere Liebe über alle Grenzen hinwegbegleitet. Nun ist Khalid sogar mein Ehemann und soll es für die Ewigkeit bleiben. Egal, was alle Anderen sagen …
Optisch geben wir ein ungleiches Liebespaar ab. Der große Khalid mit kurzen, schwarz glänzenden Kräuselhaaren sowie glatter Babyhaut ohne Mitesser und Pickelchen ist das Gegenteil von mir. Während ich meine Attraktivität eingebüßt habe und mit Rundungen sowie beginnenden Altersflecken auf der Haut durch Wiesbaden schleiche, jettet Khalid grinsend und gutgelaunt
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