Die Muschelsucher
Schoß einer so absonderlichen Familie entsprungen war. Er leerte sein Glas, stand auf, legte ein neues Scheit aufs Feuer und ging zum Bartisch, um sich wieder einzuschenken. Während er dort hantierte, sagte er: »Nehmen wir mal den schlimmsten Fall an. Nehmen wir an, deine Mutter kann sich keine Haushälterin leisten.« Er kam zurück und setzte sich wieder in den Sessel seiner Frau gegenüber. »Und nehmen wir an, du findest niemanden, der die schwere Aufgabe auf sich nimmt, ihr Gesellschaft zu leisten. Was dann? Wirst du ihr anbieten, zu uns zu ziehen?« Nancy dachte an Mrs. Croftway und ihren permanenten Ingrimm. An die Kinder, die laut gegen Großmutter Pens kritische Bemerkungen protestierten. Sie dachte an Mrs. Croftways Mutter, die, nachdem man ihren Ehering mit der Kneifzange entfernt hatte, im Bett lag und mit dem Besenstiel auf den Fußboden klopfte. Sie sagte verzweifelt: »Ich glaube, ich könnte es nicht ertragen.«
»Ich auch nicht«, gab George zu. »Vielleicht würde Olivia.«
»Olivia?« George hob ungläubig die Stimme. »Olivia und jemanden in ihr geheiligtes Privatleben eindringen lassen? Du willst mich wohl auf den Arm nehmen.«
»Aber Noel kommt nicht in Frage.«
»Anscheinend kommt überhaupt niemand in Frage«, sagte George. Er schob verstohlen die Manschette hoch und blickte auf seine Uhr. Er wollte die Nachrichten nicht verpassen. »Und ich sehe nicht, wie ich einen konstruktiven Vorschlag machen soll, ehe du mit Olivia klargekommen bist.«
Nancy war beleidigt. Sicher, sie und Olivia waren nie die besten Freundinnen gewesen. Sie hatten schließlich nichts gemeinsam. Aber sie hatte etwas gegen den Ausdruck »klarkommen«, weil es so klang, als würden sie permanent nur streiten. Sie war im Begriff, George darauf hinzuweisen, aber er kam ihr zuvor, indem er den Fernseher einschaltete und das Gespräch auf diese Weise beendete. Es war Punkt neun Uhr, und er machte sich zufrieden auf seine tägliche Ration von Streiks und Bombenattentaten gefaßt, von Morden und Finanzkatastrophen und auf die abschließende Mitteilung, daß es morgen früh sehr kalt sein würde und daß man nachmittags überall im Land mit verbreiteten Regenfällen rechnen müsse.
Nach einer Weile stand Nancy unsäglich deprimiert auf. Sie hatte den Verdacht, daß George es nicht einmal merkte. Sie ging zum Bartisch, schenkte sich großzügig neu ein, verließ das Zimmer und machte die Tür leise hinter sich zu. Sie stieg die Treppe hinauf, betrat ihr Schlafzimmer und ging in ihr angrenzendes Bad. Sie steckte den Stöpsel in den Abfluß der Wanne, drehte den Heißwasserhahn auf und schüttete mit derselben Großzügigkeit, mit der sie sich Whisky eingeschenkt hatte, parfümiertes Badeöl in die Wanne. Fünf Minuten später gab sie sich der angenehmsten Beschäftigung hin, die sie kannte - in einem heißen Bad zu liegen und dabei eisgekühlten Whisky zu trinken.
In prickelnden Schaum und feuchten Dampf gehüllt, überließ sie sich einer Woge des Selbstmitleids. Ehefrau und Mutter zu sein, sagte sie sich, war eine undankbare Aufgabe. Man opferte sich für Mann und Kinder auf, war rücksichtsvoll zum Personal, sorgte für die Tiere, hielt das Haus in Ordnung, kaufte ein und wusch die Wäsche, und was bekam man als Dank und Anerkennung? Nichts.
Tränen stiegen ihr in die Augen und vermischten sich mit den heißen Dampfwolken. Sie sehnte sich nach Anerkennung, nach Liebe, nach zärtlichem körperlichem Kontakt, nach jemandem, der sie in die Arme nahm und ihr sagte, daß sie wunderbar sei und alles ganz großartig schaffe.
Für Nancy gab es nur einen Menschen, der sie nie im Stich gelassen hatte. Daddy war natürlich ein Schatz gewesen, solange es ihn gegeben hatte, aber wer Nancys Selbstvertrauen gestärkt und immer ihre Partei ergriffen hatte, war seine Mutter gewesen. Dolly Keeling.
Dolly Keeling hatte sich mit ihrer Schwiegertochter nie verstanden, sie hatte keine Zeit für Olivia gehabt und Noel nicht über den Weg getraut, aber Nancy war ihr ein und alles gewesen, und sie hatte sie angebetet und verwöhnt. Großmutter Keeling hatte ihr Kleider mit Puffärmeln und Faltenrock gekauft, als Penelope ihre älteste Tochter in einem alten Fetzen aus fadenscheinigem Batist auf Partys schicken wollte. Großmutter Keeling hatte ihr gesagt, daß sie hübsch sei, und sie zum Tee bei Harrods und zum Weihnachtsmärchen eingeladen.
Als sie sich mit George verlobte, hatte es schreckliche Szenen gegeben. Ihr Vater war damals schon
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