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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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Krüge sahen furchtbar schwer aus) und nur das Allernotwendigste anhatten, tiefblaue und rostrote dünne Fetzen, die unangebrachterweise volle Brüste und rosige Brustwarzen freiließen.
    Weder George noch Nancy interessierten sich für Kunst, ebensowenig übrigens wie für Theater und Musik. Das Alte Pfarrhaus hatte natürlich seinen geziemenden Anteil an Bildern, die Art von Drucken, die Szenen aus dem Sportleben zeigten, die jedes Landhaus, das etwas auf sich hielt, besitzen mußte, und einige Ölgemälde mit erlegten Hirschen oder treuen Jagdhunden mit Fasanen im Maul, die George allesamt von seinem Vater geerbt hatte. Als sie einmal in London ein oder zwei Stunden Zeit gehabt hatten, waren sie in die Tate Gallery gegangen und hatten sich pflichtschuldigst eine Constable-Ausstellung angesehen, aber Nancy erinnerte sich nur noch, daß sie eine Menge dichte grüne Bäume gesehen und daß ihre Füße schrecklich weh getan hatten.
    Doch selbst Constable war diesem Bild vorzuziehen. Sie betrachtete es und konnte kaum glauben, daß es irgend jemanden gab, der etwas so Scheußliches an der Wand haben oder sogar gutes Geld dafür bezahlen wollte. Wenn sie einen solchen Schinken geerbt oder geschenkt bekommen hätte, hätte sie ihn irgendwo auf dem Speicher versteckt oder verbrannt.
    Aber Die Wasserträgerinnen hatten ihre Aufmerksamkeit nicht aus irgendwelchen ästhetischen Gründen gefesselt. Der Grund, weshalb sie das Bild so interessiert betrachtete, war die Tatsache, daß es von Lawrence Stern war. Er war Penelope Keelings Vater gewesen und mithin ihr Großvater. Das Sonderbare war, daß sie seine Werke praktisch überhaupt nicht kannte. Als sie geboren wurde, war sein Ruhm, der seinen Höhepunkt um die Jahrhundertwende erreicht hatte, bereits verblichen, und seine Arbeiten waren längst verkauft, in alle Himmelsrichtungen verstreut und vergessen. Im Haus ihrer Mutter in der Oakley Street hatten nur drei Bilder von Lawrence Stern gehangen, und zwei davon waren unvollendete Tafelbilder, auf denen eine allegorische Nymphe auf einem grasigen Hang mit Gänseblümchen Lilien verstreute.
    Das dritte Bild hing in der Diele im Erdgeschoß, genau unter der Treppe, dem einzigen Platz im Haus, der wegen der beträchtlichen Größe des Kunstwerks in Frage gekommen war. Es war ein Ölgemälde aus Sterns später Schaffensperiode und hieß Die Muschelsucher. Es zeigte eine Anzahl Wellen mit Schaumkronen, einen Strand und einen Himmel mit windgepeitschten Wolken. Als Penelope von der Oakley Street nach Podmore’s Thatch zog, hatte sie diese Besitztümer, an denen sie sehr hing, mitgenommen. Die Tafelbilder hingen oben im Flur, und Die Muschelsucher ließen das Wohnzimmer mit seiner niedrigen Balkendecke noch kleiner wirken, als es ohnehin schon war. Nancy bemerkte sie kaum noch, weil sie ihr so vertraut waren und ebensosehr zum Haus ihrer Mutter gehörten wie die durchgesessenen Sofas und Armstühle, die altmodischen, viel zu üppigen Blumengestecke in weißblauen Krügen, der köstliche Geruch von brutzelndem Essen.
    Um die Wahrheit zu sagen, hatte Nancy seit Jahren nicht mehr an Lawrence Stern gedacht, doch während sie nun in ihrem Pelzmantel und ihren Stiefeln im Zug saß, holte die Erinnerung sie ein und entführte sie in die Vergangenheit. Nicht, daß es viel zu erinnern gab. Sie war Ende 1940 in Cornwall zur Welt gekommen, in dem kleinen Kreiskrankenhaus in Porthkerris, und hatte die Kriegsjahre in Cam Cottage, unter dem schützenden Dach von Lawrence Stern, verbracht. Aber ihre Kindheitserinnerungen an den alten Mann waren verschwommen, mehr das Bewußtsein einer Präsenz als eines Menschen. Hatte er sie je auf die Knie genommen, hatte er sie spazieren gefahren oder ihr etwas vorgelesen? Wenn ja, hatte sie es vergessen. Offenbar hatte sich ihrem kindlichen Geist bis zu dem letzten Tag, als der Krieg endlich vorbei gewesen war und sie und ihre Mutter Porthkerris für immer verlassen hatten und mit dem Zug nach London zurückgefahren waren, nichts eingeprägt. Aus irgendeinem Grund war nur jenes eine Ereignis in ihr Bewußtsein gedrungen und ein Teil ihrer Erinnerungen geworden. Er hatte sie zum Bahnhof gebracht, um ihnen dort Lebewohl zu sagen. Er hatte, ein sehr alter, sehr großgewachsener, zunehmend gebeugter Mann, auf einen Spazierstock mit silbernem Knauf gestützt am Zug gestanden und Penelope zum Abschied durch das geöffnete Fenster hindurch geküßt. Seine langen weißen Haare hatten auf dem Tweedkragen seines

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