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Die Musik des Zufalls

Die Musik des Zufalls

Titel: Die Musik des Zufalls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Nashe hätte gern gewußt, wer dieser Mensch war, doch ohne den kleinsten weiterführenden Hinweis waren unmöglich irgendwelch e Schlüss e z u ziehen . Pozzi s Erscheinun g war widersprü chlich, voller Ungereimtheiten. Seine Kleidung zum Beispiel ergab kaum einen Sinn: kobaltblauer Freizeitanzug, am Krage n offene s Hawaiihemd , weiß e Halbschuh e un d dünne weiße Socken. Poppiges, synthetisches Zeug, und selbst als solch e Klamotte n i n Mod e gewe se n ware n (vo r zeh n Jahren?, vo r zwanzi g Jahren?) , hatte n ausschließlic h Männe r mittleren Alter s si e getragen . Si e wollte n sic h dami t jun g un d sportlich geben, aber bei einem so jungen Mann wirkte das reichlich lächerlic h – al s woll e e r i n di e Roll e eine s älteren Mannes schlüpfen , de r sic h mi t seine r Kleidun g jünge r z u machen versuchte , al s e r war . Angesicht s diese r ordinäre n Kleidung schie n e s nu r passend , da ß de r Jung e daz u eine n Rin g trug ; aber sowei t Nash e erkenne n konnte , sa h de r Saphi r ech t aus , un d d as schie n nu n ga r nich t z u passen . Irgendwan n mußt e de r Jung e das Gel d gehab t haben , ih n z u bezahlen . E s se i denn , e r hatt e ih n gar nich t bezahl t – als o ih n entwede r geschenk t bekomme n oder gestohlen. Pozzi war höchstens einsachtundsechzig oder einssiebzig und wog nach Nashes Schätzung allenfalls sechzig Kilo . Ei n drahtige r kleine r Zwer g mi t zierliche n Hände n und schmalem, spitzem Gesicht, der vom Handelsreisenden bis zum Schmalspurgaune r alle s möglich e sei n konnte . Jetzt , d a ih m Blut au s de r Nas e ran n un d seine linke Schläfe aufgeplatzt und geschwolle n war , lie ß sic h schwe r sagen , wa s fü r einen Eindruck er normalerweise auf die Welt machte. Nashe glaubte eine gewisse Intelligenz an ihm wahrzunehmen, konnte sich aber nicht sicher sein. Fürs erste war nur eins sicher : das Schweige n diese s Mannes . Die s un d di e Tatsache , da ß ma n ihn fas t z u Tod e geprügel t hatte.
    Nac h dre i ode r vie r Meile n bo g Nash e i n ein e Texaco - Tankstell e ei n un d bracht e de n Wage n behutsa m zu m Stehen.
    «Ic h mu ß tanken» , sagt e er . «Wen n Si e sic h im Waschraum etwas säubern wollen, wäre jetzt ein günstiger Augenblick dazu.
    Vielleich t fühle n Si e sic h dan n ei n weni g besser.»
    Kein e Reaktion . Nash e nah m an , de r Fremd e hab e ih n nicht gehört , abe r gerad e al s e r seine n Vorschla g wiederhole n wollte, nickt e de r Man n fas t unmerklich . «Tja» , sagt e Pozzi . «Ic h seh’ woh l nich t allz u gu t aus , wie?»
    «Stimmt» , sagt e Nashe , «nich t allz u gut . Si e sehe n aus , als wäre n Si e gerad e au s eine m Betonmixe r gestiegen.»
    «S o ungefäh r fühl e ic h mic h auch.»
    «Wen n Sie’ s allei n ni c h t schaffen , helf e ic h Ihne n gern.»
    «Nein, schon gut, Kumpel, ich schaff’s schon. Warten Sie’s nu r ab . Ic h schaf f alles , wa s ic h mi r vornehme.»
    Pozzi öffnete die Tür und begann sich aus dem Sitz zu stemmen ; offenba r verblüff t vo n de r Heftigkei t de r Schmer z en, ächzt e e r be i jede r kleine n Bewegung . Nash e ka m herum , um ih n z u stützen , abe r de r Jung e winkt e ih n we g un d schlurfte , als zwäng e e r sich , nich t umzufallen , mi t langsamen , vorsichtigen Schritten in Richtung Waschraum. Unterdessen tankte Nashe au f un d ü berprüft e de n Ölstand , un d al s sei n Mitfahre r noch imme r nich t zurückgekomme n war , gin g e r i n di e Tankstelle un d holt e zwe i Tasse n Kaffe e au s de m Automaten . Nac h gut fün f Minute n began n Nash e sic h z u fragen , o b de r Jung e etwa im Waschraum ohnmächtig geword e n sei . E r tran k seinen Kaffe e aus , tra t wiede r hinau s au f de n Asphal t un d wollt e gerade an die Tür klopfen, als er ihn erblickte. Pozzi bewegte sich auf de n Wage n zu ; de r Aufenthal t a m Waschbecke n hatt e ih n ein weni g ansehnliche r gemacht . Zumindes t wa r d a s Blut aus dem Gesich t gewaschen , e r hatt e di e Haar e na ß nac h hinte n gekämmt un d da s zerrissen e Jacket t ausgezogen , un d al s Nash e ih n s o sah, wurd e ih m klar , da ß e r woh l vo n allei n wiede r au f di e Beine komme n würd e un d nich t zu m Arz t gebrach t z u werden brauchte.
    E r ga b de m Junge n di e zweit e Tass e Kaffe e un d sagte : «Ich heiß e Jim . Ji m Nashe . Nu r fall s Sie’ s interessiert.»
    Pozz i nah m eine n Schluc k vo n de m jetz t lauwarme n Getränk un d verzo g angewider t da s Gesicht .

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