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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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die
Ecke. Er gehört der Schwester von einem meiner Schüler, und
deshalb wird sie uns wohl keine verfaulte Frucht
unterjubeln.«
    Sie blinzelt ihn unschuldig an. »Was ist denn ein licuado?«
    »Aha«, bemerkt er. »Reiche Touristinnen mischen
sich wohl nicht unter das gemeine Volk, wie?«
    »Hoffentlich nicht die spanische Bezeichnung für
›Plörre‹ oder so was. Ich möchte nicht wieder so
hereingelegt werden wie damals von Rock mit diesem Vegemite.«
    Jesse grinst sie an. »Mitnichten. Keine Sorge. Ich bin auch
einmal auf dieses Zeug reingefallen, und dann nie wieder.«
    »Ging mir genauso. Rock ist ein Schuft. Er hat mich dazu
verleitet, Vegemite zu probieren, als wir eine Geschichte
über die Zerstörung des Great Barrier-Riffs
produzierten.«
    »Genau, da gab es drei australische Studenten an der U des
Az, die eine ›kulinarische Weltreise‹ veranstalteten; sie
haben natürlich Vegemite mitgebracht, aber auch sonst
alles gegessen. Das war eigentlich noch recht manierlich, bis sie
dann das Vegemite aßen.«
    »Das ist aber eklig. Also ist ein licuado harmlos?«
    »Frisches Obst, Milch und Zucker, und dann verquirlen. Aber
das Gute daran ist, daß die Milch und das Obst wirklich frisch
sind, als ob man sie heute morgen erst auf dem Markt gekauft
hätte. Hatten noch nicht mal die Zeit, sich nach dem Baum oder
der Kuh zurückzusehnen. Komm mit – das mußt du dir
unbedingt ansehen.«
    Sie biegen um die Ecke und betreten die breite calle, die
durch Palmen in großen, niedrigen Steinkübeln in zwei
Fahrspuren unterteilt ist.
    Porfirios Schwester erkennt Jesse sofort, und offensichtlich ist
sie von Porfirio bereits über Jesses Freundin instruiert worden,
denn gegenüber Mary Ann verhält sie sich sehr reserviert
und förmlich. Mary Ann hingegen begegnet ihr höflich und
warmherzig – und Jesse überlegt, jetzt erzählt
Teresa ihren Freundinnen sicher, welche durchschnittliche und
normale, aber muy bella Frau Synthi Venture ist.
    Sie überreicht ihnen einen aus einer gigantischen Papaya
bestehenden licuado mit einer interessanten pinkpurpurnen
Farbgebung, denn die Papaya war schon sehr reif und rot, und dazu
zwei Strohhalme. Jesses Trinkgenuß wird durch Mary Anns
Sonnenhut erheblich beeinträchtigt, und schließlich nimmt
sie ihn ab, woraufhin ihre unnatürlich rote Haarpracht sich bis
in den Schoß hinunter entfaltet.
    »Ein üppiger Schopf«, kommentiert Jesse.
    »Das muß so sein – bei den meisten Rollen, die ich
zu spielen hatte, mußte ich damit immer diese lustigen
Schaumstoffpolster kaschieren. Das muß wohl die
3-D-Entsprechung zu den alten Pappkartons sein, mit denen man
früher die Frisuren der Cosmo- Models fixierte.«
    »Lady, ich bin nur froh, daß sie nicht alles synthetisch gemacht haben.«
    »Vielleicht nicht synthetisch, aber es ist ziemlich
knorpelig.«
    »Ich hatte eigentlich dein Herz gemeint.«
    »Sag nur, ich auch.«
    Der Rückweg zu ihrem Haus dauert sehr lange; keiner von
beiden hat es eilig, aber sie bummeln auch nicht. Sie haben eine
stumme Einigung erzielt. Die unglaubliche Señora Herrera hat
die comida im Stil einer kalten Platte angerichtet und
läßt sie oben in Mary Anns Schlafzimmer servieren.
    Sie nehmen sich viel Zeit für die Liebe, und diesmal ist sie
erstaunlich sanft und zärtlich. Sie stellen die Nachrichten
nicht an, und während der ganzen Nacht ist es draußen auf
der Straße so laut, daß sie die Nachrichten von Hawaii
erst am nächsten Morgen hören.
     
    Am 28. Juni, nordwestlich von Midway, bewegt sich in sechzehn
Kilometern Höhe ein Strom feuchter Luft an der Untergrenze der
Tropopause entlang – der Fallstrom von Wirbelsturm
›Clem‹. Dieser Strom ist groß – er weist selbst
die Masse von einigen großen Wirbelstürmen auf. Und
dennoch ist er unsichtbar; der weit im Relativ-Süden über
der Erde stehende Louie Tynan ist kaum imstande, ihn auszumachen,
obwohl er nun weiß, wonach er mit dem Infrarot-Scanner zu
suchen hat.
    Di Callare und sein Team sowie Carla Tynan auf MyBoat sind
erst seit wenigen Tagen über dieses Phänomen orientiert,
aber es dominiert bereits ihre Gedanken.
    Bisher ist ›Clem‹ dem Höhenwind gefolgt, der
Luftströmung, die in sechs Kilometern Höhe im Uhrzeigersinn
über dem Pazifik zirkuliert, wobei der Vergleich mit einem
Elefanten passend ist, der an einer Drachenschnur geführt wird.
Aber falls Carla recht hat, dann muß man jeden Moment damit
rechnen, daß der Fallstrom einen Schwenk vollführt oder
ein neuer Fallstrom

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