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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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entsteht, und überhaupt muß der
Möglichkeit Rechnung getragen werden, daß ›Clem‹
einen beliebigen Kurs einschlägt.
    Am späten Nachmittag ist es dann soweit, und es ist reiner
Zufall, daß Louie den Vorgang mitbekommt; als er zum Hörer
greift, um die Erde zu warnen, ist der Alarm bereits ausgelöst,
und die Daten der automatischen Kameras gehen binnen kurzem in
Houston und Washington ein.
    Dennoch klingelt er durch; niemand, der mit
High-Tech-Ausrüstung arbeitet, vertraut den Geräten
bedingungslos, und diese Sache ist viel zu wichtig, um ihre
Beurteilung irgendeiner Künstlichen Intelligenz zu
überlassen. Er bedient sich des Überrang-Codes, um direkt
nach Washington durchgestellt zu werden und wird auch sofort mit dem
verschlafenen, mürrischen Konterfei von Harris Diem
konfrontiert, der gerade zu Bett gegangen war. »Ja?«
    »Mr. Diem, hier spricht Louie Tynan. Der Fallstrom ist soeben
auf Nordkurs gegangen. ›Clem‹ wird die Richtung
ändern.«
    »Auf – Nordkurs gegangen. Haben Sie schon eine
Vorstellung, wo er zuschlagen wird?«
    Louie schaut auf den Ausdruck, den die KI ihm gerade
überreicht. »Scheiße. Wir haben eine Vorstellung. Die
Chancen stehen ausgezeichnet, daß er Midway plattmacht, und
dann besteht noch eine Wahrscheinlichkeit von fünfzig zu
fünfzig, daß es Hawaii erwischt.«
    Diem blickt nach unten, bestätigt Louies Zahlen und schaut
wieder zu ihm hoch. »Bleiben Sie, wo Sie jetzt sind, und fliegen
Sie zunächst nicht zum Mond. Es wäre nämlich
möglich, daß Sie sich ganz inoffiziell einige bestimmte
Dinge ansehen sollen. Wenn Sie sich für die kommenden Stunden
kommod einrichten wollen, sollten Sie das in den nächsten zehn
Minuten tun.«
    »Roger«, sagt Louie und wendet sich vom Telefon ab, als
Diem aufgelegt hat.
    Der Fallstrom ist auf Nordkurs gegangen – und schwenkt
bereits nach Osten ein. Schon mit dem bloßen Auge erkennt
Louie, daß sich ein spitzer Keil in den Wirbelsturm
›Clem‹ bohrt, und zwar an der Stelle, wo der nach unten
gerichtete Fallstrom eine Hochdruckzelle ausbildet.
    Per Modem übermittelt er die Basisparameter an Dis Team, so
daß die Daten zur Verfügung stehen, wenn Diem oder Pauliss
Di Callare aufwecken, und dann versucht er sie auch an Carla
weiterzuleiten, obwohl sie wahrscheinlich zu tief abgetaucht ist, um
die Daten in der nächsten Zeit zu empfangen.
    Dann ordert er, einer langen Gewohnheit folgend, Sandwiches und
Kaffee bei der robotischen Küche und begibt sich in den vorderen
Teil der Station. Diem hat völlig recht – man kann nie
wissen.
    Als der Fallstrom seine neue Position relativ zum Sturm bezieht,
ändern sich die Windverhältnisse in der Umgebung; die Luft
strömt immer von Zonen hohen Drucks zu solchen niedrigen Drucks,
und der Punkt mit dem niedrigsten Druck in Meereshöhe ist das
Auge von ›Clem‹, der mit dem höchsten Druck der
Endpunkt des Fallstroms. Wenn ›Clem‹ ein physikalisches
Objekt wäre, würde der Wirbelsturm allein aufgrund der
schieren Masse eine lange Zeit zur Verzögerung und
Kursänderung benötigen, aber ein Wirbelsturm ist eben kein
Objekt, sondern ein Prozeß: er konvertiert die kinetische
Energie der spiralförmig einströmenden Luft in
zusätzliche Windenergie, hat selbst jedoch keine Dynamik.
    Als er nun eine Kursänderung um 110 Grad nach rechts
vollführt und auf eine neue Bahn einschwenkt, tut er das nicht
wie ein Ozeandampfer, der erst verzögert und dann wieder Fahrt
aufnimmt; er ändert einfach nur die Richtung.
    Die gute Nachricht, zumindest vom Standpunkt der Regierungen aus,
ist die, daß dieser Vorgang gerade einsetzt, als an der
Ostküste Nordamerikas die Schlafenszeit anbricht und die Sache
nicht sofort in ihrer ganzen Tragweite erfaßt wird; als XV also
die Nachrichten bringt, sind die Menschen an der dicht besiedelten
Ostküste gerade zu Bett gegangen.
    Unglücklicherweise erscheint die Meldung auch in den
europäischen Frühnachrichten und den fernöstlichen
Spätnachrichten.
    Daher ist Carla Tynan, die die letzte Etappe nach Pohnpei in
Überwasserfahrt zurücklegen will, schon bald nach Eintreten
der Situation im Bilde, programmiert den Autopiloten und macht sich
an die Arbeit; Di, der durch Henry Pauliss’ Anruf aus dem Schlaf
gerissen wurde, verabschiedet sich von Lori, schnappt die schon
gepackte Reisetasche und besteigt den Zipline nach DC.
    Um vier Uhr morgens sitzt Di dann am Schreibtisch, mit einer
großen Kanne Kaffee vor sich. Gretch hastet aus dem
Praktikanten-Wohnheim

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