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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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physikalisch sind sie durch Millionen
Datenleitungen miteinander verbunden, logisch durch Milliarden
Eingabe-Ausgabe-Subroutinen, aber in diesem Augenblick ist es zu
verlockend, im alten, langsamen Akustikmodus miteinander zu
kommunizieren. Er spürt ihre Zustimmung, noch bevor sie das
erste Wort gesprochen hat. »Sie werden entweder mit uns oder mit
John Klieg verhandeln«, sagt sie, »und ich glaube nicht,
daß sein Sexleben auch nur halb so interessant ist. Sie haben
uns teilweise abgehört… sie werden aber sicher eine Woche
brauchen, bis sie es ausgewertet haben, und überhaupt dreht sich
unser Gespräch hauptsächlich darum, die Konstruktion des
Schiffes zu optimieren. Eine Möglichkeit, unsere
Privatsphäre zu schützen, besteht darin, die entsprechenden
Abschnitte mit Störsignalen zu überlagern. Als ob man im
Wohnheim die Stereoanlage aufdreht.«
    Louie lacht entspannt. »Ich befürchte, du hast mich
wieder in den Erdorbit gerissen. Manches funktioniert real eben
besser.« Und doch spürt er bei diesen Worten, wie die
gewaltigen Prozesse – mit Verzögerung zwar, aber
wahrnehmbar – auf dem Mond ablaufen. Und ihm wird auch
bewußt, daß er sich seit dem Beginn der Arbeiten noch nie
einen Blick aus der Beobachtungskuppel auf die Mondbasis gegönnt
hatte.
    »Eine wirklich gute Idee«, lobt er sie. »Dann
könnten wir das ja mal wiederholen.«
    »Du bist ja unersättlich!« stellt sie fest, und
erst jetzt merkt er, daß sie fast nur auf akustischer Basis
miteinander kommunizieren, um die spannende Ungewißheit zu
genießen, was der andere sagen oder denken wird.
    »Nun, muß ja nicht sofort sein«, wiegelt er ab.
»Unsere Körper würden das auch gar nicht verkraften.
Aber bald wieder. Ist dir schon mal aufgefallen, daß wir…
ähem – Teufel, daß es gar keine Bezeichnung
dafür gibt, wenn man seinen eigenen Körper mit dem
Bewußtsein einer anderen Person wahrnimmt?«
    »Ach, hast du das auch schon bemerkt? Was glaubst du wohl,
warum ich so abgegangen bin? Mein Gott, Louie, es ist einfach
unglaublich. Wir könnten so etwas wohl immer im Hintergrund
laufen lassen, wenn wir wollten…«
    »Davon halte ich nicht viel, Liebling. Wenn ich es schon
mache, will ich wenigstens voll dabei sein. Es ist nur schade,
daß es noch Monate dauern wird, bis alle Prozessoren voll
vernetzt sind und wir es physikalisch tun können.
Vorzugsweise in der Schwerelosigkeit.«
    »Ich habe aber keine Weltraumlizenz…«
    »Wenn ich wieder zurück bin, werde ich mit einem kleinen
Schiff auf dem Meer landen, das seinen Treibstoff aus Luft und Wasser
synthetisiert, und dich von MyBoat abholen. Ich weiß
zwar nicht, was die USSF und die NASA davon halten, wenn ich oben ein
Rendezvous veranstalte, aber ich werde ihnen schon sagen, daß
es sie schließlich nichts kostet und daß es immer noch
billiger ist, als mir Landurlaub zu geben. Ich glaube wirklich,
daß ich vielleicht nie mehr auf die Erde zurückkehren
werde.«
    »Es ist nur eine Verabredung, Seemann. Und dabei wird uns
auch sicher wieder klar werden, wie verschieden wir doch sind…
ich brauche einfach ein paar Stunden am Tag in der Realität. So
bin ich eben. Und glaubst du denn nicht auch, daß es lustig
wäre, einmal seinem eigenen Ich zu begegnen?«
    Das verwirrt ihn etwas, denn irgendwie assoziiert er ihre letzten
Worte mit einer Geschichte aus seiner Kindheit; als er in das Netz
eintaucht, vernimmt er zwar noch einmal ihre Worte, versteht aber
nicht ihren Sinn – bis sie es ihm schließlich
erklärt.
    »Du bist ja nie lange genug in der Realität, um das zu
erleben!« sagt sie und präsentiert es ihm visuell –
den Moment, an dem sie wieder ins Netz schlüpft und feststellt,
daß die andere Hälfte (oder vielmehr die übrigen
neunundneunzig komma Periode neun Prozent) ihres Bewußtseins
schon wieder ein paar Jahrhunderte älter geworden ist und ihr
eine Menge zu erzählen hat.
    »Nein. Nie im Leben. Obwohl es mich vielleicht doch
interessieren würde, ob ich mich zwischen dem Mond und den
Prozessoren auf der Constitution aufteilen könnte…
während der vier Monate, die ich mindestens noch
beschäftigt bin, operiere ich außerhalb der
Normalzeit… was bedeuten würde… Wahnsinn. Beim von mir
geplanten Arbeitstempo würde ich erst in ungefähr zehn
Millionen Jahren wieder eine Einheit bilden.«
    »In den nächsten vierundzwanzig Stunden könnte ich
ohne weiteres ein wissenschaftliches Dossier mit etlichen hundert
Seiten erstellen, aber…«
    »Ich auch. Lach nicht,

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