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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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Jahren Relativzeit entspricht. Er benutzt
Milliarden Prozessoren, wobei an diesem Nachmittag bereits die
Billionengrenze überschritten wird; bei diesen Komponenten
handelt es sich zudem um Parallelprozessoren, die Millionen Programme
simultan abarbeiten, was sich per Saldo zu mehreren Quadrilliarden
parallel ablaufender Programme summiert… und doch ist da etwas
tief in seinem Innern, das nach Linearität drängt, auf die
Konfiguration einer einzigen Kausalkette, so daß er zur
Stabilisierung seines Bewußtseins und vielleicht auch seiner
geistigen Gesundheit zu dem Trick greift, in jeder Sekunde mehrere
Jahrzehnte zu durchleben (dabei tritt indes eine Beschleunigung auf,
denn die zunehmende Parallelvernetzung bedingt auch eine höhere
Geschwindigkeit; außerdem kommen nicht nur ständig neue
Prozessoren hinzu, sondern auch Prozessoren-Produzenten oder vielmehr
Prozessoren-Konstrukteure).
    Nicht, daß er sich nicht verändern wollte. Es ist nur
so, daß er noch längst nicht alles über seinen
aktuellen Standort weiß. In Augenblicken der Muße hatte
er sämtliche Daten, die jemals aus dem Orbit über die Erde
gewonnen wurden – sei es mit einer Normaloptik, Radar oder
Infrarotkameras – ablaufen lassen und die unzähligen
schleichenden Veränderungen untersucht, die seit 1960 in der
globalen Biosphäre stattgefunden haben. Er hat die Sprachen der
Welt in *World transponiert und ermittelt, daß die Ursprache
der Menschheit möglicherweise an einem Dutzend Orte lokalisiert
werden kann. Er hat die gesamte Geschichtsschreibung revidiert, indem
er Dutzende Aspekte korrelierte, deren Bedeutung bisher nicht
erfaßt worden war, und er hat neue Fragen aufgeworfen, wo die
über Generationen zusammengetragenen Erkenntnisse bisher nur
unbefriedigende Antworten geliefert hatten.
    Er hat alle Daten über den Mars neu ausgewertet und kennt ihn
nun viel besser als damals, als der rote Sand unter seinen Stiefeln
knirschte, und außerdem kennt er jetzt nicht nur die wirkliche
Natur des Planeten, sondern alle Vorstellungen, die jemals über
ihn existiert hatten. Er könnte unglaubliche Dinge über die
Verbindungen zwischen Viking und Barsoom erzählen.
    Er hat die Daten aller unbemannten Sonden zusammengetragen,
einschließlich der geheimen Zahlen der chinesischen Regierung
und der japanischen Institute, so daß er auch bestens über
jeden anderen Planeten des Sonnensystems informiert ist; mit dem
Asteroidengürtel ist er mittlerweile so vertraut wie mit seinem
Heimatort. Er hat die Klassiker gelesen sowie sämtliche
Kommentare, und nicht nur die europäischen Klassiker, sondern
die aller Hochkulturen; er hat den Werken der großen
Komponisten gelauscht, und das alles nur, um die Prozessoren zu
beschäftigen – weil er nämlich, wenn sie sich nach dem
Datenempfang wieder in den Rechenvorgang integrieren, sonst nur
Langeweile empfindet.
    Wenn er sich wirklich darauf konzentriert hätte, wäre es
ihm möglich gewesen, der Technologie auf dem Mond einen
Vorsprung von fünfzig Jahren gegenüber den irdischen
Standards zu verleihen, nur daß die Menschen nicht intelligent
genug gewesen wären, sie auch zu nutzen. Und überhaupt
genießt er die Freizeit…
    Und diese umfassende Entwicklung des Intellekts hat natürlich
auch seinen Pioniergeist beeinflußt. Seine Neugierde ist eher
noch stärker geworden, zumal es jetzt so viele neue Dinge gibt,
die ihn auch interessieren…
    Am meisten gefiel ihm die Vorstellung, nicht mehr zwischen Erde
und Mond zu pendeln und sich nicht mehr während der vielen
Wochen selbst desaktivieren zu müssen, die ein Funksignal mit
einer Dauer von anderthalb Sekunden mittlerweile zu ihm unterwegs
ist.
    All das komprimiert er in eine Form, die er als
›Terabyte-Haiku‹ bezeichnet – ein umfangreiches
Poly-Multimedia-Dokument mit einer extremen Informationsdichte, um
seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, wenn er sie an Carla
übermittelt. Ihre Rechenkapazität ist um eine
Größenordnung geringer als seine, was indes weniger am
Arbeitsspeicher liegt (sie stützt sich auf das umfassende
globale Netzwerk), sondern daran, daß sie darauf besteht, sich
täglich ein paar Stunden auszuklinken und in der Normalzeit zu
leben. Er weiß zwar nicht, weshalb sie das tut, aber es scheint
ihr zu gefallen.
    Sie benötigt gerade zehn Sekunden, um den
›Terabyte-Haiku‹ zu erfassen und zu verarbeiten.
»Verstehe«, lautet ihr erster Kommentar.
    Es dauert schier Äonen, bis er erkennt, daß er nun
wieder etwas sagen

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