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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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es mittlerweile nennen, sprechen die Medien
nur noch selten davon, wie ›rücksichtslos ,Clem’ sich
den Menschen gegenüber verhalte‹. Die wenigsten Leute
müssen oder wollen daran erinnert werden, daß
›Clem‹ sich über die Menschen keine Gedanken
macht.
    Am 14. Juli bahnt sich der Untergang der Republik der
Marschall-Inseln an. Am Freitag, dem vierzehnten, um 10:00 Uhr
Ortszeit, befindet das Auge des gigantischen Wirbelsturms sich auf
166 Grad West 7 Grad Nord. Hier erstreckt der Pazifik sich endlos in
alle Richtungen, wobei nur das kleine, hochpreisige Reiseziel Palmyra
Atoll aus den Fluten ragt, das schon lange evakuiert ist und nun die
volle Wucht des Sturms zu spüren bekommt.
    Doch spät an diesem Nachmittag, gegen 15:30 Uhr Ortszeit
(obwohl es niemanden gibt, für den diese Ortszeit relevant
wäre), vereinigen die Fallströme, die ›Clem‹
vorangetrieben haben, sich nordöstlich des riesigen Wirbelsturms
und schieben ihn rasch nach Südwesten.
    Die Marschall-Inseln sind bereits bei ›Clems‹ letztem
Durchgang verwüstet worden, wobei sein Pfad sich noch ziemlich
weit südlich erstreckt hatte. Diesmal ist der Wirbelsturm jedoch
viel größer; seit Hawaii hat er nicht an Stärke
verloren, und er zieht mitten zwischen den zwei parallel verlaufenden
Inselketten der Republik hindurch.
    Es ist zwar rechtzeitig Sturmwarnung gegeben worden, aber das
heißt noch lange nicht, daß jeder sich auch in Sicherheit
bringen konnte; diese Chance hat nur in der Theorie bestanden.
    Admiral O’Hara, der auf der Brücke der HMS Abel
Tasman, des Flaggschiffs der UN-Rettungsflotte, steht, hat das
ungute Gefühl, daß diese theoretische Chance den
UN-Politikern auch ausreicht. Die Republik der Marschall-Inseln ist
nämlich schon seit fast einer Generation eine Eiterbeule
für die UN, und aus der Perspektive des Generalsekretärs
könnte ›Clem‹ kaum einen besseren Ort erwischen. Der
unter O’Haras Befehl stehende internationale Verband ist
überhaupt nicht in der Lage, einen Rettungsauftrag
auszuführen, und selbst ohne Wirbelsturm wären sie nicht
imstande gewesen, die zwanzig Fraktionen des Bürgerkriegs zu
befrieden, der das einstige Inselparadies in ein einziges
Notstandsgebiet verwandelt hat.
    O’Hara ist stolz auf die Leistungen seiner Australier und
Neuseeländer, und auch die aus Filipinos, Indern, Koreanern und
Thais bestehenden Einheiten sind über jeden Zweifel erhaben,
aber er weiß auch, daß sie vor einer unlösbaren
Aufgabe stehen – und wenn man einem militärischen Verband
einen undurchführbaren Auftrag erteilt, kann man die Leute nur
zum Durchhalten auffordern.
    Und sie müssen viel aushalten. Die einzige Insel, auf der sie
– bisher – noch nicht unter Feuer geraten sind, ist
Kwajalein, aber sie haben fast niemanden von dieser Insel evakuiert.
Die mehreren tausend Menschen in der ehemaligen amerikanischen
Kolonie, eine Art ›Vorstadt‹, die für die auf dem
Raketengelände arbeitenden Amerikaner angelegt wurde,
gehören einer Vielzahl christlicher Kulte an, deren gemeinsamer
Nenner das extreme Mißtrauen gegenüber Meldungen von der
Außenwelt ist. Die meisten von ihnen weigerten sich, an Bord
der Schiffe zu gehen, weil sie das für einen Trick hielten, um
so den Amerikanern die Rückkehr zu ermöglichen.
    Es gibt aber noch viele friedliche Atolle, Schauplätze aus Südpazifik oder Meuterei auf der Bounty, bei deren
Anblick einem das Herz lacht. Aber schon der erste Durchgang von
›Clem‹ hat viele dieser Atolle isoliert – es bestehen
zwar direkte Satellitenverbindungen zu allen Inseln, aber nicht alle
Bewohner haben die Antennen ausgefahren, und dann gibt es noch einige
tausend Menschen, die keinen Satellitenanschluß haben, so
daß sie die Warnungen überhaupt nicht mitbekommen. Die
Thais rasen zwar in ihren Luftkissenbooten von einem Anwesen zum
anderen, und die Besatzung des indischen Trägers Brahma hat auch noch einige Leute informiert, aber sie wissen dennoch
nicht, auf welchen Atollen sich noch Menschen aufhalten oder welche
Atolle illegal besiedelt sind. Die Zeit ist einfach zu knapp, um alle
zu erreichen. Wenn die großen Flutwellen und der Wind mit einer
Stärke von über 35 Beaufort zuschlagen, dann werden viele
Tausende ertrinken, ohne daß die Außenwelt ihren Tod
überhaupt zur Kenntnis nehmen würde.
    Aber das nur am Rande. O’Hara echauffiert sich nur deshalb,
weil selbst die Kultanhänger von Kwajalein doch halbwegs
vernünftige Leute sind, und er würde lieber

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