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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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der
ausgewählten Weißen und Asiaten die Gelegenheit geboten
wurde, ein feines, von Sklavenmädchen dargebotenes Mahl zu
genießen. Dann durften sie die Mädchen nach Lust und Laune
vergewaltigen und zusehen, wie einige gefoltert und getötet
wurden. Die geheime UN-Untersuchung, die O’Hara während der
Vorbereitungen zu seiner Mission zu sehen bekam, veranschlagte den
Wahrheitsgehalt der Geschichte auf fünfundsechzig Prozent.
Dennoch hatten die UN damals nicht interveniert. Die Aufzucht von
Frauen wie Vieh war kein hinreichender Grund für eine
Intervention. Dann ist es also, folgert O’Hara, in Ordnung,
einzelne Menschen nur so zum Spaß zu töten, nicht jedoch,
sie massenweise ertrinken zu lassen. Vielleicht stimmt die Analogie
zum Vieh tatsächlich… niemand hat Einwände gegen das
Schlachthaus, aber wenn zehntausend Kühe vom Ertrinken bedroht
sind…
    Er bricht diese Überlegungen ab. Schon zu seiner Zeit als
Kadett hatte man ihm immer wieder vorgehalten, er würde seinen
Beruf nicht mit der gebotenen Nüchternheit und Distanz
betrachten. Vielleicht stimmt das sogar – er wäre gern
dieser amerikanische General, Marshall, gewesen, der seine Reputation
hauptsächlich dem Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten
Weltkrieg verdankte. Wenn O’Hara ein Diktator wäre, dann
wären die Medienleute mit ihrer Behandlung vielleicht nicht
zufrieden, aber es würde Wasser, Elektrizität, ordentliche
Straßen und Jobs geben und keine Morde, Vergewaltigungen oder
Diebstähle.
    Mit diesen Überlegungen verdrängt er nur den Gedanken an
die Fallschirmjäger und Marineinfanteristen auf Ebeye, deren
Einsatz eine bizarre Kombination aus Nordirland, Sarajewo und
Tschetschenien darstellt. Alle paar Stunden wird ein weiterer Soldat
von einem Heckenschützen getroffen, noch ein junger Mensch mit
einer Kugel im Körper, die ihn entweder tötet oder für
den Rest des Lebens zum Krüppel macht; wenn er Glück hat,
dann wird er für die nächsten vierzig Jahre nur von
Alpträumen verfolgt. Die Bodentruppen schicken Stoßtrupps
zu den nächsten Häusern, kämpfen Korridore frei und
öffnen Durchgänge, durch welche die Flüchtlinge
entkommen.
    O’Hara hat einen kurzen Bericht geschrieben, den er auch
veröffentlichen will – nach diesem Einsatz wird seine
Karriere ohnehin beendet sein – und aus dem hervorgeht,
daß die tatsächliche Bevölkerungsstruktur auf Ebeye
vor der Intervention folgendermaßen aussah: zirka zweihundert
männliche Befehlshaber, dreitausend männliche Söldner
und Aufseher im Dienst der Kommandeure sowie mehr als zwanzigtausend
Sklavinnen.
    Sein Bemühen, diese Fakten mit soldatischer Nüchternheit
zur Kenntnis zu nehmen, schlägt fehl; nach weiteren fünf
Minuten hat er eine Entscheidung getroffen, die ihn vor das
Kriegsgericht bringen wird, aber jetzt muß er tun, was er
für richtig hält.
    Vor zwei Stunden hat ein Staticopter von der Brahma zwanzig indische Soldaten auf dem Dach eines Hochhauses von Ebeye
abgesetzt, das Vorauskommando einer aus 100 Mann bestehenden
Kompanie, welche die oberen Stockwerke des Gebäudes
stürmen, die dort verstreuten Maschinengewehrnester ausschalten
und es den Anzacs ermöglichen soll, das Gebäude zu betreten
und zu säubern. Beim Versuch, vom Dach des Hochhauses abzuheben,
wurde der Staticopter getroffen, und weil seine Trümmer
andere Maschinen an der Landung hindern, ist die indische
Einsatzgruppe nun abgeschnitten. Nichtsdestoweniger sind sie so weit
ins Gebäude vorgestoßen, um das erste Maschinengewehrnest
auszuschalten und hätten die anderen sicher auch noch erledigt
– wenn der Häuptling, dem das Gebäude gehörte,
seine Leute nicht abgezogen und die Feuertüren in offener
Stellung blockiert hätte. Dann hat er die Sprinklertanks
gesprengt und das Gebäude in Brand gesetzt. Außer den
Soldaten verbrannten auch noch mehrere hundert Sklaven,
überwiegend Mädchen, in ihren verschlossenen Zimmern oder
stürzten sich aus dem Fenster auf den Betonboden, während
die Aussies und Neuseeländer von schwerem Beschuß aus den
Nachbargebäuden niedergehalten wurden – und das Feuer nicht
erwidern konnten, weil der Feind sich hinter Sklavinnen als
lebendigen Schutzschilden versteckte.
    In dem wie eine Fackel lodernden Gebäude ist niemand mehr am
Leben; es gab keine Möglichkeit, die im obersten Stockwerk
eingeschlossenen Soldaten herauszuholen, und was von ihnen noch
übrig ist, vergeht gerade in den orangefarbenen Flammen und dem
schwarzen Rauch, der die hohen,

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