Die Mutter aller Stürme
sie jetzt
tun sollten und was das alles zu bedeuten hätte.
Als sie die ersten Explosionen hören, gehen die Köpfe
nach oben. Es dauert eine Weile, bis die vorne stehenden Männer
erkannt haben, was geschehen ist, und dann sehen sie, daß
Wasser aus jedem Gebäude strömt; und die Wassertürme
selbst sind auch gesprengt worden.
Die Trinkwasserreserven von Ebeye strömen aus den
Gebäudeeingängen und fließen in die Lagune.
Selbst dann sehen die meisten noch nicht, was sich ereignet hat,
und die paar Leute, die es gesehen haben, versuchen es den anderen
lautstark zu erklären; dann ertönt die zweite
Explosionswelle, und gleichzeitig gehen alle Hochhäuser in
Flammen auf.
Binnen einer Stunde wird Ebeye sich in ein einziges Flammenmeer
verwandelt haben; ein paar Leuten gelingt es, die schwierige Strecke
nach Kwajalein schwimmend zurückzulegen (wo die
Kultanhänger die nette Tradition pflegen, jeden Mann, der
herüberschwimmt, zu steinigen), eine größere Anzahl
harrt am Strand aus – und alle werden umkommen, wenn
›Clem‹ diese Inseln bis auf den blanken Fels
abträgt.
Nachdem O’Hara die zu Tode erschrockenen Gesichter gesehen
hat, denkt er daran, wie diese Männer ihr (in der Regel kurzes)
Leben verbracht haben und findet dann Gefallen an der Vorstellung,
ein Kriegsverbrecher zu sein.
Die Verschiebung des Fallstroms ist nicht unbemerkt geblieben, und
am späten Nachmittag hält O’Haras Flotte, deren
überwiegend requirierte Frachtschiffe mit mehr als 100.000
Insulanern besetzt sind (und die trotzdem noch sehr viele freie
Kapazitäten aufweisen), mit Höchstfahrt nach Süden auf
den Äquator zu. Bisher ist ›Clem‹ genauso wenig wie
jeder andere Wirbelsturm in der Lage gewesen, den Äquator zu
überqueren, und auf hoher See wird man die Sturmflut nur als
leichtes Stampfen des Schiffes wahrnehmen; wenn sie ›Clems‹
irrsinnigen Winden ausweichen, dürfte es keine Probleme
geben.
Als ›Clems‹ Ausläufer am nächsten Morgen die
ausgebrannten Ruinen von Ebeye erreichen, ist die Sturmflut bereits
mehrmals über die Ratak-Kette hinweggerollt, und zum erstenmal
seit Jahrzehnten wird auf Majuro der Müll
›abgefahren‹. Ausweislich der zurückgelassenen
Kamera-Drohnen haben die in den Kasernen von Kwajalein lebenden
Jünger des christlichen Kults sich auf dem Sportplatz der
ehemaligen Highschool versammelt; auf Ebeye gibt es keine Spur von
Überlebenden.
Nicht nur vier Flutwellen wie auf Oahu, sondern gleich Hunderte
haben die Marschall-Inseln bis auf die Korallenbänke
blankgeputzt; der höchste Punkt der Inseln lag gerade einmal
einunddreißig Meter über dem Meeresspiegel.
Die UN-Flotte befindet sich weiter auf Südkurs. Die Schiffe
spüren die Flutwellen kaum, zumal sie weit abseits des Sturms
fahren; am Abend des 19. Juli sind sie südlich des Äquators
auf offener, ruhiger See unter wolkenlosem Himmel in Sicherheit.
O’Hara inspiziert seine Flotte mit dem Fernglas, und dabei sieht
er, daß die Decks mit Menschen übersät sind.
Als er einen Anruf vom Generalsekretär bekommt, verschweigt
er ihm sein Vorgehen auf Ebeye. Rivera bedankt sich kurz und herzlich
bei ihm und verleiht der Hoffnung Ausdruck, daß die Insulaner
bald die Flüchtlingslager im Golf von Carpenteria erreichen
– verbunden mit dem inoffiziellen Hinweis, die
Evakuierungsflotte zusammenzuhalten. Zur Zeit nimmt eine
japanisch-chinesisch-indonesische Evakuierungsflotte Kurs auf die
Marianen. Es wird erwartet, daß ›Clem‹ über dem
Westpazifik wieder nach Osten dreht, und daher sagt Rivera: »Wir
müssen davon ausgehen, daß der Wirbelsturm
›Clem‹ von Dauer sein wird, so daß noch viele weitere
Orte zu evakuieren sind. Ihre Flotte verfügt schon über
einschlägige Erfahrungen – und Sie haben den Auftrag gut
ausgeführt.«
Dies ist die einzige Würdigung seiner Aktionen, die
O’Hara jemals zu hören bekommt. Erst nach einigen Tagen
wird ihm bewußt, daß die Operation nicht von XV-Reportern
begleitet wurde und daß alle Video-Aufzeichnungen sich in den
Händen der UN befinden.
Louie Tynan darf das ›Schiff‹ für die Expedition
nach 2026RU taufen; weil es sich bei dem Schiff um die alte
Raumstation Constitution, einige größere
Komponenten der französischen und japanischen Habitate auf der
Mondbasis sowie um eine enorme Anzahl von Sonden, Replikatoren,
Drohnen und Robotern handelt – die von vielen Orten gestartet
(wobei noch mehr folgen werden) und dann irgendwie zusammengebastelt
wurden –, fällt es
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