Die Mutter aller Stürme
dem Gefängnis in Stockholm.
Im übrigen wollten sie ihm ganz klar zu verstehen geben,
daß sein Weltraumzentrum verstaatlicht worden ist.
Mit einem solchen Vorgehen der Regierung muß jeder
erfolgreiche Geschäftsmann rechnen. Er verspricht ihnen, ein
guter, kooperativer und nützlicher Gefangener zu sein, so oft
sie es hören wollen, und dann darf er die verängstigte
Glinda und Derry sehen, und nach einigen weiteren Drohungen lassen
sie Klieg und seine Frauen gehen.
Er hält sich nun schon eine Weile in diesem Teil der Welt
auf, und er kennt die Spielregeln. Selbst als er die beiden in den
Arm nimmt und beruhigt, schwört er sich, daß er ihnen
diese Demütigung, die Bedrohung seiner Familie und vor allem den
Tod seines Freundes und Partners zurückzahlen wird. Noch vor
wenigen Monaten hätte er nicht den blassesten Schimmer gehabt,
wie er eine solche Racheaktion hätte durchführen sollen.
Aber jetzt, nachdem die neue Regierung sie spät in der Nacht
freigelassen hat und sie in ihr Appartement zurückkehren, nimmt
er eine ausgiebige Dusche, um den an ihm haftenden Gestank von
eingetrocknetem Kot abzuspülen; und während er sich
abschrubbt, läßt er sich Lösungsmöglichkeiten
durch den Kopf gehen.
Bevor er in dieses Land kam, hätte ihn die Kombination aus
phantasievollen und grausamen Gedanken wahrscheinlich etwas
schockiert. Jetzt aber genießt er es noch mehr als die
Dusche.
Der Hurrikanableger ›Clem 114‹ entsteht, als einer von
›Clems‹ Fallströmen in geringer Entfernung westlich
von Minami Tori plötzlich nach Norden schwenkt. Bislang haben
die Medien sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, zu
erklären, wie die von zwei Fallströmen erzeugte
Hochdruckzelle zwei Superhurrikane auf Gegenkurs schickt; sie weisen
nur darauf hin, daß ›Clem 114‹ in südwestlicher
Richtung wandert, wo das Meer viel wärmer ist und wo er
wahrscheinlich in wenigen Tagen die Größe seines
Vorgängers erreichen wird.
Manuel Tagbilaran kennt nicht einmal die Anzahl der sich
nähernden Wirbelstürme; angesichts der zu
bewältigenden Aufgaben scheint das auch völlig irrelevant.
Er muß nämlich die letzte Gruppe Passagiere, die gerade
mit der Fähre von Luzon an der Insel Samar angelegt hat, nach
Tacloban bringen.
Manuel Tagbilaran weiß nicht, warum er das überhaupt
tut. Seit die Kinder erwachsen sind und seine Frau gestorben ist,
lebt er allein auf einer kleinen Farm oben am Westhang der Berge, die
gleichsam das ›Rückgrat‹ von Samar bilden; zuweilen
veranschaulicht er den Touristen die Gestalt der Insel, indem er
Samar mit einem vom Auto überfahrenen Kaninchen vergleicht, das
nun auf der linken Seite liegt, wobei das gebrochene Rückgrat
nach oben hin absteht und die Straße sich um das Rückgrat
windet.
Zumindest wird er an den Berghängen vor dem Wind
geschützt sein. Und überhaupt ist diese Route Schwachsinn,
denn normalerweise bringt er die Passagiere der Fähre von Luzon
über das südlich gelegene Leyte nach Tacloban. Die
Fähre wird nicht ablegen, nicht einmal dieser Idiot Ramon –
mein Gott, Manuel hofft, daß Ramon in Sicherheit ist; sie
hatten diese Route gemeinsam eröffnet, damals, ’96.
Über dreißig Jahre her.
Der Wind wird stärker, und obwohl es erst Nachmittag ist,
wird es schon dunkel. In kurzen Intervallen wird der Bus, ein Mitsui
’12 IntelliTracker von schweren Sturmböen
durchgeschüttelt, so daß der Aufbau ächzt. Er
umklammert das Steuer und spricht zu dem Bus, als ob ein solch
rustikales Gerät über eine Moral verfügte, die man
durch eine persönliche Ansprache heben könnte.
Aber vielleicht hat das auch nur etwas mit seiner eigenen Moral
oder der der Passagiere zu tun, sagt Manuel sich.
Normalerweise sind hundert Kilometer ein Katzensprung – auf
der durchgehend asphaltierten Straße und mit dem Radar des
IntelliTrackers wäre eine Reisegeschwindigkeit von 140 km/h
möglich. Aber sie sind bereits zwei Stunden unterwegs und haben
noch nicht einmal ein Drittel der Strecke zurückgelegt.
Wenigstens verhalten die Passagiere sich ruhig. Im hinteren
Abschnitt des Busses sitzen einige chinesische
Versicherungsvertreter, die oben in der Hauptstadt eine Woche lang
Hausrats- und Lebensversicherungen vertrieben haben und sich nun auf
dem Heimweg zu den kleinen chinesischen Vorstädten befinden, die
in Leyte entstanden sind. Sie machen sich wahrscheinlich nur
darüber Sorgen, daß sie erst spät nach Hause kommen
und morgen dann zu müde zum Tennis- und Golfspielen sein
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