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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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werden.
Außerdem gibt es da noch eine ältere Dame mit ihrer
Tochter, wobei diese Tochter schon in mittlerem Alter ist und
eindeutig zur Fettleibigkeit neigt; wahrscheinlich ist sie die graue
Maus der Familie und zur Betreuung der Mutter abgestellt worden.
    Manuel geht dieser Anblick an die Nieren; seiner
Lieblingsschwester war nämlich das gleiche Schicksal beschieden;
sie verwandelte sich in eine griesgrämige, verbitterte alte
Dame, bis sie schließlich nur drei Jahre nach dem Tod von Mama
auch von dieser Welt abtrat.
    Die restlichen Passagiere bestehen aus zwei Schülern des
Gymnasiums von Ormoc, wobei der Junge ein schlanker, stattlicher
junger Teufel ist (mein Gott, welches Leben Manuel mit einem solchen
Aussehen hätte haben können! Und dieser Junge wird es
wahrscheinlich auch haben!); bei dem Mädchen handelt es sich um
ein vollbusiges und verschmustes kleines Ding mit einem Babygesicht.
Sie werden wohl vorgegeben haben, an die Universität von Manila
zu fahren, aber Manuel ist sich absolut sicher, daß die Eltern
dieser Kinder wohl keine Ahnung hatten, daß die beiden zur
selben Zeit zum selben Ort gefahren sind.
    Der langsam fahrende Bus erreicht eine Spitzkehre der
serpentinenförmigen Straße nördlich von Calbayog.
Manuel sieht die Straße vor sich nicht mehr; in den letzten
zehn Minuten haben sich Ströme an Stellen aufgetan, an denen es
noch nie welche gegeben hatte. Sie schneiden durch den aufgebrochenen
Asphalt vor ihm, und einmal mußte der IntelliTracker schon den
Allradantrieb zuschalten, ins Gelände ausweichen und die
unterspülte Straße umgehen. Die umgestürzten
Bäume, die ihnen immer wieder den Weg verlegen, zählt er
schon gar nicht mehr.
    Da wird er den Enkelkindern etwas zu erzählen haben, die
jetzt sicher in den Schutzräumen sind, die er, seine Söhne
und Schwiegersöhne auf dem Familienbesitz entlang der
Straße eingerichtet hatten.
    Plötzlich hält der IntelliTracker an und meldet:
»Kann die Straße nicht mehr identifizieren.«
    Manuel schaut durch die Windschutzscheibe, an der eine
zentimeterdicke Wasserschicht zu kleben scheint. »Ich auch
nicht, Kumpel. Schaffen wir es mit Automatik und Radar?«
    Nach einer langen Pause erwidert der IntelliTracker
schließlich: »Den Meldungen zufolge hat die Ebbe vor
Catbalogan ein Rekordmaximum erreicht. Die Behörden
raten…«
    »Zum Teufel«, meint Manuel. Wie jeder Filipino
weiß, folgt auf Ebbe auch wieder Flut, die in der Regel schnell
und heftig einsetzt. Sicher wird dieser Monster-Wirbelsturm, den die yanqui- Wissenschaftler erzeugt haben (Manuel weiß es
zwar nicht genau, aber die Annahme ist zulässig, daß die yanquis dahinterstecken), Flutwellen ungeahnten Ausmaßes
produzieren, und wahrscheinlich wird das Auge im Norden hereinkommen
und sogar direkt über Manila hinwegziehen.
    Der IntelliTracker wartet eine Weile, und dann sagt der arme
Idiot, unfähig, Manuels Unterton zu interpretieren: »Nicht
ratsam, unter den gegebenen Umständen die Passagiere auf dieser
Strecke weiterzubefördern. Wahrscheinlichkeit eines schweren
Unfalls siebzehn Prozent.«
    Dieses Risiko ist noch viel höher, sagt Manuel sich. Er dreht
sich zu seinen sechs Passagieren um; alle wirken müde und
verängstigt, und so, wie er sich selbst fühlt, ist er froh,
alles weitere an den Bus zu delegieren, denn ansonsten würde er
vor Angst schier durchdrehen.
    »Könnten wir es bis zur Farm als Zwischenstation
schaffen?«
    »Welche Farm?« gibt der blöde Bus die Frage
zurück.
    »IntelliTracker – Identifikation Primärbasis –
schließe IntelliTracker«, erwidert Manuel in der
primitiven Programmiersprache, die für den IntelliTracker
konzipiert wurde. Die Kapazität des Busses für die
Verarbeitung natürlicher Sprache ist begrenzt; Manuel hat die
Lage also geklärt, aber dennoch hat er das unbestimmte
Gefühl, daß der IntelliTracker schmollen wird, wenn er ihn
wieder aktiviert. So, wie er sich immer fühlt, wenn koreanische
Seeleute, deren Schiffe in Subic Bay vor Anker liegen, oder
amerikanische Pensionäre ihn in Manila mit Pidgin
ansprechen.
    Nach einer Bedenkpause meldet der IntelliTracker mit seiner
monotonen mechanischen Stimme: »Erfolgschancen hoch. Gewisses
Risiko wegen unbefugten Eindringens.«
    Manuel zuckt gleichmütig die Achseln; wozu hat er
schließlich eine Rechtsschutzversicherung.
»Kursänderung ausführen«, befiehlt er, worauf der
Bus die Straße verläßt und die Steigung in Angriff
nimmt.
    »Ich bringe Sie zu mir nach Hause«, wendet

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