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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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wurden, nicht
berücksichtigt, wird der Mond von Hunderten dieser kleinen
Krabbler erkundet.
    Erst am Vortag hat Louie festgestellt, daß eines der vielen
Relais der Station Funkverkehr für das Mondfahrzeug der
University of Wyoming und den Raumgleiter von Ralston-Purina
abwickelte. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei ersterem um
ein Projekt des Fachbereichs Maschinenbau und bei letzterem um
Werbung für Frühstücksflocken, die verkündete,
daß man einen zehntel Quadratmeter der Mondoberfläche
erwerben könne (eine absolut risikofreie Werbeaktion, denn die
UN haben alle Ansprüche, mit Ausnahme eines Radius von einem
Kilometer um ständig bemannte Einrichtungen, suspendiert). Dazu
gab es dann noch ein Bild des jeweiligen Sektors.
    Wo seine aus acht Leuten bestehende Besatzung früher hundert
Meilen über die Marsoberfläche gewandert war, existiert
jetzt eine Roboteisenbahn, mit der eine Kamera zwischen dem Nordpol
des Mars und der Endstelle hin- und herfährt und Aufnahmen
macht, welche einigen Millionen Erdbewohnern über TV direkt ins
Schlafzimmer übermittelt werden. Jedoch laufen die von der
Jupitersonde übertragenen Bilder, die auch in Louies Schlafraum
hängen, dem Mars bereits den Rang ab.
    Er betrachtet die unter sich hängende Erde. Bisher kann er
nichts Verdächtiges erkennen. Mit derselben Gewißheit,
daß in Europa keine dunkelhäutigen Menschen mehr leben,
stellt er fest, daß weder das Artensterben andauert noch die
Temperatur der Weltmeere einen kritischen Punkt erreicht hat. Und mit
Sicherheit kennt er die Erde aus dieser Perspektive, nachdem er
bereits fünfundsechzig Jahre im Weltraum verbracht hat…
    Nun, zum Teufel damit. Der Anblick des alten Planeten erfreut ihn
noch immer. Er setzt eine Knautschflasche mit Kirin an – noch
eine großartige japanische Erfindung – und trinkt auf die
Erde. Sie ist an der Peripherie zwar ziemlich ramponiert, aber
dennoch gefällt sie ihm aus dieser Perspektive. Er hat nicht
darüber zu befinden, ob seine Stelle hier oben zu teuer ist oder
nicht. Wenn sie ihn nicht abberufen, wird er bleiben.
    Als er einen Schluck Bier nimmt, denkt er an Carla, und der
Gedanke, daß sie ihm unmittelbar nach der Betrachtung des
geschundenen alten Planeten in den Sinn kommt, drückt ihm fast
das Bier zur Nase hinaus. Dieser Vergleich würde ihr
gefallen.
    Sie haben fast seit einem Monat nicht mehr miteinander
kommuniziert, und ihm bleiben noch vierzig Minuten bis zur
nächsten Beobachtung. Zudem sieht er gerade ganz passabel aus,
so daß er daraus vielleicht noch einen Vorteil ziehen kann. Aus
der Position der irdischen Tag-Nacht-Grenze folgert er, daß es
im westlichen Pazifik jetzt ungefähr drei Uhr nachmittags ist,
und das Wetter ist gut. MyBoat ist mit hoher
Wahrscheinlichkeit aufgetaucht und empfangsbereit.
    Er dreht sich mit dem Gesicht zur Kamera und zum Bildschirm und
wählt ihre Nummer. Nach mehrmaligem Klingeln wird nur die
Audio-Verbindung aktiviert, so daß sein erster Gedanke ist, sie
empfängt ihn über Langwelle mit entsprechend schlechter
Übertragungsqualität – er hatte sich wirklich darauf
gefreut, ihr Gesicht zu sehen –, und dann lacht sie. »Ach,
du bist es, Louie. Ich wickele mich eben noch in ein
Handtuch.«
    »Weshalb?« fragt er. Da hat er sie also beim Sonnenbaden
erwischt; präzise Kalkulation.
    »Damit die Boulevardpresse nicht wieder eine Geschichte von
perversen Astronauten veröffentlicht, die am Telefon ihre nackte
Ex-Frau anstarren und unanständige Dinge sagen. Deshalb. Du hast
einen Ruf zu verlieren, Captain America.«
    »Sie haben mich schon vor langer Zeit befördert«,
belehrt er sie.
    »Für mich wirst du immer Captain America bleiben«,
beharrt sie auf ihrem Standpunkt, und die Video-Verbindung wird
aktiviert. »Gibt es etwas Besonderes, oder wolltest du nur mal
›Hallo‹ sagen?«
    »Ach, nur mal ›Hallo‹. Natürlich habe ich es
so eingerichtet, daß ich dabei auch einen Blick auf deinen
Körper werfen konnte.«
    Sie grinst und macht eine Bewegung, als ob sie ihm eine langen
wollte. Einer der von ihnen konsultierten Psychologen hatte
diagnostiziert, sie seien beide ›sozial retardiert, was bei
intelligenten Menschen oft vorkommt, und deshalb verhalten Sie sich
auch wie zwei unschlüssige Teenager‹. Erst nach ein paar
Tagen begriffen Louie und Carla, daß der Psychologe ihnen ein
Defizit attestiert hatte.
    Bei ihrem Anblick stößt er einen Pfiff aus, wie ein
Bauarbeiter es nicht besser machen könnte. »Halten sie

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