Die Mutter der Königin (German Edition)
die Flut der verwundeten Männer angeritten bin, habe ich unsere Sache nicht als verloren betrachtet. Ich bin schon so lange an Marguerites Hof, dass ich nur in Kriegsbegriffen denken kann. Ich dachte, wir hätten eben eine Schlacht verloren, aber danach werde es noch eine weitere geben. Jetzt betrachte ich das müde Gesicht meines Gemahls und die dunklen Augenringe meines Sohnes und sage: «Ihr glaubt, Henry und Marguerite werden den Thron nie wieder zurückgewinnen?»
Er zeigt mir seine leere Scheide, in der einst sein wunderschön ziseliertes Schwert steckte. «Ich kann ihnen jedenfalls nicht dabei helfen», antwortet er. «Ich habe mein Schwert dem neuen König überreicht. Ich habe ihm Treue geschworen.»
«Wir sind keine Anhänger des Hauses Lancaster mehr?» Ich kann es immer noch nicht glauben.
Anthony nickt. «Es ist vorbei», bestätigt er. «Und wir hatten Glück, dass wir davongekommen sind und den Kopf noch auf den Schultern tragen.»
«Das ist alles, was zählt», sage ich und begreife es allmählich. «Am Ende muss das alles sein, was zählt. Du lebst, und dein Vater auch. Für mich jedenfalls ist es das, was am meisten zählt.»
In dieser Nacht liegen wir wie eine arme Familie dicht zusammen im Stroh unter unseren Umhängen, um es warm zu haben. Unser kleiner Trupp Männer ist im Stall bei den Pferden. Richard hält mich die ganze Nacht in den Armen. «Wir gehen nach Grafton», flüstere ich vorm Einschlafen. «Wir sind wieder Gutsherren, und wir werden das Ganze als Romanze betrachten, eine Geschichte, die eines Tages vielleicht jemand niederschreibt.»
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Grafton, Northamptonshire
FRÜHJAHR 1464
I ch versammele meine Kinder um mich, und auch Elizabeth kommt mit ihren zwei Jungen von Groby Hall nach Hause. Sie ist vollkommen mittellos, ihre Schwiegermutter weigert sich, ihr die Mitgift zurückzuzahlen, und in diesen unruhigen Zeiten besitzen wir weder die Macht noch den Einfluss, sie dazu zu zwingen, ihre Seite des Ehevertrages einzuhalten, auf den ich noch vor ein paar Jahren so stolz war und der jetzt wertlos ist.
Richard und Anthony werden öffentlich begnadigt und in den Kronrat berufen. Der neue König erweist sich als kluger Anführer. Er herrscht mit dem Earl of Warwick, der ihn auf den Thron gesetzt hat, als Ratgeber an seiner Seite, doch er lässt so viele Lords an seiner Regierung teilhaben, wie nur kommen wollen. Er bevorzugt die yorkistischen Lords nicht, er scheint wirklich ein König für alle im Land sein zu wollen. Einige Lords gehen ins Exil, andere scharen sich um die Königin, die sich manchmal in Schottland, manchmal in Frankreich aufhält, wo auch immer sie Soldaten rekrutiert, von wo aus auch immer England droht und eine Rückkehr vorbereitet. Ich glaube, ich werde sie nie wiedersehen, die hübsche junge Französin, die nicht heiraten wollte, bevor ich ihr nicht die Zukunft vorausgesagt hatte. Es ist in der Tat das Rad des Schicksals gewesen. Sie war die größte Frau in England, und jetzt hat sie in ihrem eigenen Land nicht einmal mehr ein Dach über dem Kopf, sondern wird gejagt wie eine Wölfin.
Ich höre nur selten von ihr, meine Neuigkeiten kommen nur aus der Gemeinde oder aus der Nachbarstadt. Ich erlebe mit, wie mein Sohn Anthony mit Elizabeth, Lady Scales, vermählt wird, und überlege, wer eine gute Partie für meine anderen Kinder wäre. Doch wir sind nicht mehr so wohlhabend und mächtig wie einst, als Marguerite d’Anjou auf dem Thron saß und ich ihre beste Freundin und erste Hofdame war und mein Gemahl einer der großen Männer am Hofe. Jetzt sind wir nur einfache Gutsbesitzer in Grafton, und obwohl ich mich an meinem wachsenden Obstgarten erfreue und noch mehr an meinen Kindern und Enkelkindern, fällt mir die Vorstellung schwer, meine Söhne und Töchter sollten in die Familien der anderen kleinen Gutsbesitzer einheiraten. Ich erwarte mehr für sie. Ich will mehr für sie.
Besonders für meine Elizabeth.
Im Frühling hocke ich mich eines Tages vor die große Truhe in meinem Schlafgemach und hole die Samtbörse heraus, die meine Großtante Jehanne mir vor vielen Jahren geschenkt hat. Ich betrachte die Glücksbringer – wie viele Wahlmöglichkeiten die Welt Elizabeth bietet, einer jungen Frau, wenn auch nicht mehr in der ersten Blüte ihrer Jugend, einer Schönheit, wenn auch keine Jungfrau mehr, einem klugen, gelehrten Mädchen, wenn auch ohne den tief empfundenen Glauben, um Äbtissin zu werden. Ich wähle unter den
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