Die Mutter der Königin (German Edition)
für dich ist es besser, wenn die Garnison stark ist», sagt er. «Calais ist der Fels. Die englischen Besitzungen im Norden Frankreichs sind darauf angewiesen, dass wir Calais halten.»
Schweigend reiten wir weiter. Auch als wir am Mittag Rast machen, spricht er kaum ein Wort. Er fragt nur, ob ich sehr müde bin, und als ich das verneine, sorgt er dafür, dass ich etwas zu essen bekomme. Danach hebt er mich für die Fortsetzung der Reise wieder auf das Sattelkissen. Der Edelknecht kommt angeprescht, nimmt die Kappe ab und verbeugt sich tief vor mir. Dann flüstert er meinem Lord rasch etwas zu, und wir reiten weiter.
Als wir die mächtigen Mauern der Burg von Calais aus dem dunstigen Meer ragen sehen, ist bereits die Abenddämmerung hereingebrochen. Das Land ist von Gräben und Kanälen durchzogen, abgeteilt durch kleine Schleusen, und über allem wabert der Nebel. Als Zeichen dafür, dass man uns kommen sieht, wird die Fahne auf dem höchsten Turm der Burg eingeholt, und die mächtigen Tore öffnen sich für uns. Der Edelknecht meines Lords kommt zurückgeritten. «Bald zu Hause», sagt er fröhlich zu mir und wendet sein Pferd.
«Nicht mein Zuhause», bemerke ich knapp.
«Das wird es schon noch», meint er. «Es ist eine unserer schönsten Burgen.»
«Mitten in einer Meuterei?»
Er schüttelt den Kopf. «Die ist vorbei. Weil die Garnison monatelang keinen Sold erhalten hat, haben die Soldaten den Händlern von Calais die Wolle aus den Lagerhäusern gestohlen. Die Händler mussten dafür bezahlen, dass sie ihre Ware zurückbekommen, und jetzt wird mein Lord, der Herzog, ihnen das Geld zurückerstatten.» Er grinst über meine verdutzte Miene. «Das ist nichts von Bedeutung. Wenn die Soldaten ihren Sold pünktlich bekommen hätten, wäre das nie passiert.»
«Und warum hat mein Lord dann einige exekutiert?»
Das Lächeln des Edelknechts erstirbt. «Damit sie das nächste Mal, wenn sie ihren Sold zu spät bekommen, nicht so schnell die Geduld verlieren.»
Ich werfe meinem schweigenden Gemahl auf der anderen Seite einen Blick zu. «Und was geschieht jetzt?»
Wir nähern uns den Mauern, die Soldaten treten zur Ehrenwache an und eilen den steilen Hang von der Burg herunter, die mitten in der Stadt liegt und den Hafen im Norden und das Sumpfland im Süden sichert.
«Jetzt entlasse ich die, die gestohlen haben, setze ihren Kommandanten ab und ernenne einen neuen», erklärt mein Gemahl kurz angebunden. Er sieht an mir vorbei direkt den Edelknecht an. «Euch.»
«Mich, Mylord?»
«Ja.»
«Es ist mir eine Ehre, aber …»
«Widersetzt Ihr Euch mir?»
«Nein, Mylord, gewiss nicht.»
Mein Gemahl lächelt den zum Schweigen gebrachten jungen Mann an. «Gut.» Zu mir sagt er: «Dieser junge Mann, mein Edelknecht und Freund, Richard Woodville, hat in fast allen französischen Feldzügen gekämpft und wurde vom verstorbenen König, meinem Bruder, auf dem Schlachtfeld zum Ritter geschlagen. Schon sein Vater hat uns gedient. Er ist noch keine dreißig Jahre alt, aber niemand ist treuer oder vertrauenswürdiger. Er hat das Zeug dazu, diese Garnison zu befehligen. Solange er hier ist, kann ich sicher sein, dass es keine Meuterei gibt, keine Klagen und keine Diebeszüge durch die Stadt. Und dass meinen Befehlen nicht widersprochen wird. Richtig, Woodville?»
«Vollkommen, Mylord», sagt er.
Und dann reiten wir drei durch den dunklen, widerhallenden Torbogen. An den erhängten Meuterern, die stumm an ihren Galgen baumeln, an den sich verbeugenden Einwohnern der Stadt führt uns der gepflasterte Weg vorbei, hinauf zur Burg von Calais.
«Soll ich gleich hierbleiben?», fragt Woodville, als ginge es nur um ein Bett für die Nacht.
«Nein», erwidert mein Gemahl. «Eine Zeitlang brauche ich Euch noch bei mir.»
Nur drei Nächte bleiben wir, für meinen Gemahl lange genug, um die Hälfte der Soldaten zu entlassen und nach England zu schicken, wo sie ersetzt werden, lange genug, um ihren Hauptmann zu warnen, dass er ihn durch Sir Richard Woodville ersetzen wird. Dann ziehen wir den gepflasterten Weg wieder hinunter, reiten durch das Tor hinaus und halten uns gen Süden auf der Straße nach Paris, der Edelknecht Woodville wieder an der Spitze der Truppe, ich auf dem schwerfälligen Pferd des Soldaten und mein Gemahl in grimmigem Schweigen.
Zwei Tage sind wir unterwegs, bis wir den kleinen Fluss Grange Batelière erblicken. Hinter ihm liegen Äcker, Wiesen und kleine Bauernhöfe, die allmählich von kleinen, an die
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