Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)
ist er und ahmt stolz Balthasar nach. Mein Gott, er liebt seinen großen Bruder. Und mein Gott, Balthasar liebt ihn mehr als irgendein Ding oder eine Vorstellung oder ein Gefühl auf dieser Welt. Das tun wir beide. Er ist unser ständiger Gefährte. Unser Schatten. Unser Sohn. Ein Sohn zum Üben, für diejenigen, die wir zusammen haben werden, wenn wir erst einmal verheiratet sind.
Aber keine Heirat – noch nicht. Zuerst bringt Balthasar mir bei, wieder zu leben. Mich zu verteidigen. Er bringt mir das Kämpfen bei. Wie man auf dem Forum Diebstähle begeht. Und Abdi sieht zu. Ahmt seinen Bruder nach. Vergöttert ihn. Er will nur eines: Balthasar sein.
Und Balthasar nimmt mich mit aufs Forum, als er denkt, ich sei bereit, meine Diebeskünste an einem echten Opfer auszuprobieren. Da ist er und spielt meinen Komplizen. Und da ist Abdi, dem wir gesagt haben, er solle auf der anderen Seite des Forums auf uns warten. »Rühr dich nicht von der Stelle«, sagt Balthasar, »bis wir dich holen kommen.« Doch da ist Abdi, der sich doch wegbewegt, weil er unbedingt wie sein Bruder sein will. Er schleicht sich davon und versucht, ganz allein einen Diebstahl zu begehen. Er hat uns so nahe, so oft beim Üben zugesehen. Er ist sich sicher, dass er es kann. Aber er ist keine fünf Jahre alt, und er weiß nicht, dass es kein Spiel ist. Und da ist er und folgt einem Mann über das Forum. Ein Mann, der aussieht, als hätte er reichlich Geld bei sich. Da ist er und ahmt die Art nach, wie Balthasar die Hand in die Gewänder seines Opfers gleiten lässt und dessen Geldbeutel hervorzieht. Und da ist Abdi und greift zu … und da ist Abdi und nimmt sich …
Und da ist Abdi, auf frischer Tat ertappt.
Seine Hand wird gepackt, als sie nach einem übervollen Geldbeutel greift. Von einem Mann, der hoch über ihn aufragt und mit einem harten, unvergesslichen Augenpaar auf ihn heruntersieht, während er diese diebische kleine Hand quetscht. Sie quetscht, bis ihre kleinen Knochen zu zerbrechen drohen. Sie quetscht, bis Abdi keine andere Wahl bleibt, als laut aufzuschreien. Und der große Mann beugt sich über diesen kleinen Dieb. Diese kleine syrische Ratte. Das Paradebeispiel dafür, was alles mit dieser erbärmlichen Stadt nicht stimmt.
Und der Mann ist ein römischer Zenturio.
Und die Leibwächter des Zenturio haben sich um ihn gestellt. Und eine Menschentraube bildet sich um den Zenturio und diesen auf einmal sehr, sehr ängstlichen Jungen – noch keine fünf Jahre alt. Und ein paar Menschen, die Männer, flehen den Zenturio an, ihn loszulassen. »Wir sorgen dafür, dass er bestraft wird«, sagen sie. »Wir werden ihn verprügeln, bis er blutet«, sagen sie. Und der kleine Junge ist natürlich völlig verängstigt. Er schreit, man solle ihn loslassen. Er schreit, weil seine Hand so wehtut. Er schreit, weil ihm auf einmal klar ist, dass das hier kein Spiel ist. Und der Zenturio zückt sein Schwert. Und einige in der Menschenmenge keuchen auf und protestieren schreiend. Und die Männer verdoppeln ihre Versprechen, das Kind selbst zu bestrafen, obwohl sie wissen, dass sie machtlos sind und nicht einschreiten können.
»Dies soll eine Warnung sein!«, ruft der Zenturio. »Eine Warnung, dass Verbrechen in Antiochia nicht toleriert wird! Egal, WER es begeht!«
Und er quetscht Abdis Hand sogar noch mehr, entlockt ihm einen weiteren gequälten Aufschrei. Doch da ist Balthasar, hört ihn. Hier ist der heldenhafte große Bruder, der es niemals zulassen würde, dass Abdi etwas zustößt. Da ist Balthasar, angezogen von den Schmerzensschreien seines Bruders – und rennt direkt auf den Zenturio zu, ich dicht hinter ihm. Jene vertraute Stimme hat uns gerufen. Und Balthasar wird diesen Römer angreifen, bevor dieser seine Absicht in die Tat umsetzen kann. Er wird ihn angreifen und ihn blutig schlagen, während Abdi und ich entkommen. Und höchstwahrscheinlich wird er das Ganze mit seinem Leben bezahlen, aber das ist ihm egal.
Aber den Leibwächtern des Zenturio ist es nicht egal. Sie versperren Balthasar den Weg, bevor er sein Ziel erreicht. Sie bilden eine Absperrung vor ihrem römischen Landsmann, packen Balthasar an Armen und Beinen und halten ihn fest, obwohl er sich wehrt und schreit. Während er Abdi in die Augen sieht, und dem kleinen Bruder auf einmal aufgeht, dass der große ihn doch nicht retten kann.
Und der Zenturio stößt mit seinem Schwert zu. Und Abdi schreit auf.
Und wir halten jetzt einen Moment inne. Wir halten genau hier in
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