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Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Titel: Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seth Grahame-Smith
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einst eine Zeit gegeben hatte, zu der sie diese Vorstellung romantisch und abenteuerlich gefunden hätte, fand Sela sie nun lediglich ärgerlich und überaus beunruhigend.
    Sela trank noch einen Schluck und erwog ihre beschränkten Optionen. Sie würde mit ihnen nach Ägypten reisen, ja. Nach Süden zu gehen ergab Sinn, und außerdem war man in der Gruppe sicherer – auch wenn es sich nicht gerade um die Art Gruppe handelte, die sie sich freiwillig ausgesucht hätte. Doch sie würde nicht dort bleiben. Sie würde allein weiterreisen. Vielleicht quer durch den Norden Afrikas nach Karthago oder übers Meer bis nach Griechenland.
    Du hast im Leben schon einmal von vorn angefangen, das kannst du wieder tun.
    Sie hegte kein Interesse, bei einem jüdischen Paar das fünfte Rad am Wagen zu spielen. Ebenso wenig wollte sie Zeit mit dem Mann verbringen, den sie einst für die Liebe ihres Lebens gehalten hatte. Allem Anschein nach hatte Balthasar auch kein Interesse an ihr. Er saß abseits da und beobachtete …
    Eine Steinbockherde graste in einiger Entfernung. Es war eine relativ kleine Herde, nur etwa ein Dutzend Tiere. Nicht die über hundert, die ihnen vor Hebron aufgefallen waren, als sie in einen Hinterhalt gerieten. Balthasar saß ein gutes Stück von den anderen entfernt und beobachtete, wie die Steinböcke gedankenlos, stupide ihr wiedergekäutes Futter kauten. Ein tröstlicher Anblick.
    Glückselige, einfache kleine Geschöpfe.
    Sie verbrachten ihr kurzes Leben damit, von einem Ort zum nächsten zu laufen und sich zu nehmen, was sie zum Überleben benötigten. Immer auf der Suche nach dem nächsten grünen Fleckchen, das sie ernähren würde, immer auf der Flucht, wenn es zu gefährlich wurde, ohne je haltzumachen, bis sie entweder erjagt wurden oder einfach starben und dem Vergessen anheimfielen.
    Balthasar fielen eine Million Erklärungen ein für das, was sie in Be’er Scheva gesehen hatten. Keine davon ergab Sinn. Genau wie er sich eine Million Gründe ausdenken konnte, weshalb ein Bach in der Wüste aus dem Nichts erschien, oder genau in dem Augenblick, in dem sie ihn benötigten, ein Aufruhr ausbrach. Doch er entkam nicht länger dem quälenden Gefühl, das ihn schon seit Tagen durch die Wüste verfolgte:
    Da ist etwas mit dem Baby.
    Es konnte nicht anders sein. Warum sonst würden all diese Menschen seinen Tod wollen? Ein winziges, nagelneues Wesen, das noch nicht einmal ein Wort von sich gegeben hatte. Ein Wesen, das immer noch die halb geöffneten Augen und den unförmigen Kopf eines Neugeborenen hatte. Und warum wirkte das Kind immer so ruhig? Als wisse es genau, was vor sich ging? Warum hatte ihm der alte Mann im Traum ein Bild von Ägypten gezeigt? Warum schien die Natur selbst ihnen zu Hilfe zu eilen, wenn sie sich in Not befanden? Und wie?
    Balthasar war voller neuer Fragen. Neuem Zweifel. Zweifel an seinem alten Zweifel. Und dieser herumwirbelnde Tümpel aus Fragen und Zweifeln verwirrte ihn. Und wenn er verwirrt war, wurde er wütend. Und hier war er also, saß ein Stück von den anderen entfernt und beobachtete, wie sich der Himmel über der Wüste langsam verdunkelte. Wütend und allein.
    Sela sah eine Weile zu, wie er dort saß, als eine geisterhafte Stimme ihrem Elend mehr unliebsame Gesellschaft verschaffte:
    »Warum gehst du nicht hin und redest mit ihm?«
    Sie drehte sich nach links und sah, dass Maria auf sie zukam. Unter ihrem Gewand stillte sie immer noch das Baby.
    »Wie bitte?«
    »Warum gehst du nicht hinüber?« Maria setzte sich neben sie. »Setz dich zu ihm. Rede mit ihm.«
    »Und warum sollte ich das tun?«
    Maria blickte verwirrt drein. Ist das denn nicht offensichtlich?
    »Weil … du ihn liebst.«
    Sela war sich sicher, dass sie plötzlich schielte. Ihn lieben?
    »Hast du gesehen, wie ich ihn begrüßt habe, als er vor meiner Tür aufgetaucht ist?«
    »Ja. Und wenn dir nichts an ihm läge, hättest du ihm den Rücken zugekehrt. Hättest ihm die Tür vor der Nase zugeknallt. Doch sein bloßer Anblick hat dich wütend gemacht. Gewalttätig. Das sind leidenschaftliche Gefühle. Man empfindet so etwas nicht, wenn einem nichts an jemandem liegt.«
    »Es ist ein bisschen spät für Leidenschaft.«
    »Wenn da Liebe war, echte Liebe zwischen euch, wer kann schon sagen, ob es …«
    »Hör mal«, unterbrach Sela sie. »Ich finde, wir haben Dringenderes zu besprechen, beispielsweise, dass wir allein mitten in der Wüste sind. Oder dass ein ganzes Heer versucht, uns aufzuspüren und

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