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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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Instanz zur nächsten schleppte, jagten deutsche Tornados längst wieder über fremde Länder und nach jeder Niederlage vor Gericht, so beklagte sich der Pfarrer, tiefer über die kleinen Häuser am Rand der Heide.
    »Gerade Deutschland«, sagte Kuhn, und weil Jenny zwar verständnisvoll nickte, aber das Mikrofon weiter vor seinen Mund hielt, sagte er es gleich noch mal: »Gerade wir! «
    Es nutzte nur alles nichts. Auf unseren Aufnahmen würde kein Wort davon zu verstehen sein, so laut drosch der Regen auf das Dach des Imbisswagens. Da konnte ich an meinen Knöpfen drehen wie ich wollte, aber als ich kapitulierend die Hände hob, bestrafte mich Busch dennoch mit einem bösen Blick.
    Wider Erwarten gingen Jenny dann doch die Fragen aus. Busch schwenkte noch einmal sorgfältig die leere Lichtung ab, während mir die kalte Brühe in den Nacken lief, denn das schmale Dach reichte leider nicht für alle.
    »Haben wir es jetzt? «, fragte ich vorsichtig.
    Aber meine Kollegen hörten mich nicht. Busch schob dem Pfarrer ein Bier vor die Nase und sie palaverten los wie alte Freunde am Stammtisch. Gleich, so fürchtete ich, würden sie Zoten reißen, sich abwechselnd auf Schulter und Schenkel hauen und bestimmt noch einige Stunden so verbringen. Dann warf mir Busch jedoch plötzlich den Autoschlüssel zu, was so viel hieß wie: Hol schon mal den Wagen. Und auf dem Weg durch Matsch und Regen fragte ich mich erneut, auf welchem Trip dieser Kerl heute war. Dass er mich sogar seine Karre fahren ließ!
    Ganz am Anfang meiner trostlosen Assi-Karriere hatte er mir mal was von »Distanz« erzählt, der angeblich wichtigsten Tugend für Reporter. Wir seien lediglich das »Fernglas der Zuschauer, nur Chronisten«, wie er sagte. Leere Worte. Spätestens heute hatte sich Busch klar auf eine Seite geschlagen, auf die Seite von Leuten zudem, die einen ziemlich egoistischen Kampf führten. Was wussten wir denn, ob die Fliegerei nicht doch nötig war? Und »ausgerechnet Deutschland« - warum denn ausgerechnet nicht? Es musste doch Gründe geben, warum eine Regierung so und nicht anders entschied, so wie es Gründe gab, für die sie gewählt wurde. Gründe gab es immer. Und wenn es sie gab, mussten die Bomber schließlich auch irgendwo üben. Am Ende mochte Busch diese Leute einfach, den selbst gestrickten Liedermacher, die selbstbewussten Dorfbewohner und ihren selbstgerechten Kampf gegen Goliath. Das musste es sein: Ihre Renitenz war eine Rückblende in seine eigene große Zeit. Nostalgie. Womöglich war es dem »Chronisten« damals auch schon nicht nur um »Bilder« gegangen, um Wasserwerfer und Sitzblockaden, denn »Bilder« hatte es heute definitiv nicht gegeben.
    Vorsichtig lenkte ich den Van über die Wiese. Busch hatte inzwischen sein zweites Bier ausgetrunken, aber konnte sich trotzdem nur schwer losreißen. Die Theke, der Pfarrer - irgendwas hielt ihn zurück. Jenny war es jedenfalls nicht mehr, denn die saß längst im Wagen. Als auch Busch endlich einstieg, befahl er mir mit einer herablassenden Geste, den Fahrersitz zu räumen. Selbstverständlich musste ich dafür im Regen noch einmal um sein Auto herumlaufen, während er einfach vom Beifahrersitz hinter das Steuer rutschte und beiläufig fragte, wie alt wir eigentlich seien.
    »25«, antworte Jenny arglos, »warum? «
    Ich kannte das alberne Ritual schon, aber weil er regelmäßig darauf bestand, stöhnte auch ich gelangweilt: »27«.
    Gleich würde er fragen, was nur mit den jungen Leuten heute los sei, kein bisschen Engagement mehr, kein Funken Widerstand und so weiter, ob wir jemals Tränengas geschmeckt hätten, wie das den Gaumen kitzelt und überhaupt.
    »Wisst ihr überhaupt, wie Tränengas schmeckt? «
    »Oh Mann, Busch, bitte! «
    »Was denn? Na los, ich höre: Habt ihr jemals den Kopf hingehalten, euch gewehrt oder einmal für irgendwas gekämpft? «
    Natürlich hätte ich ihn blubbern lassen können, seine Monologe einfach ausblenden wie immer, Kopfhörer auf und mich an meinen Tunes berauschen, aber es ging nicht anders: Einmal musste ich mich schließlich auch wehren, den Kopf hinhalten und Busch ein für alle Mal sagen, was ich schon immer wollte.
    »Na und«, sagte ich, und vermutlich sagte ich es sogar eine Spur zu laut: »Was hat es denn genutzt? «
    Das saß. Er sah mich von der Seite an, als hätte ich ihm einen Dolch zwischen die Rippen gestoßen.
    »Ich meine euer Scheiß-Brokdorf und die ganzen Legenden! Am Ende ging es trotzdem ans Netz. Auf der blöden

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