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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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es auch die letzte Büchse sein. Es sei ein Zeichen. Das Ende. Ein Fanal. Dann sank er erschöpft auf einen Schemel.
    Unwillkürlich drehte ich mich zur Tür. Irgendwo da hinten döste Otto vor sich hin, der solche Sprüche keinesfalls hören durfte. Wegen einer ähnlichen Lappalie hatte er Konrad schon vor einem halben Jahr beinahe erschießen lassen und das - bei allem fehlenden Respekt - sogar zu Recht: Zersetzung ist unser größter Feind, der einzige womöglich. Warum mußte Konrad auch immer gleich alles in Frage stellen, als wäre es nicht so schon schwer genug für jeden von uns? Er sei mein Freund, sagte ich ihm, aber wenn er nicht gleich das Maul halte, würde ich das melden.
    Zwei Sekunden starrte er mich noch an, dann beugte er sich wieder über die Pfanne und rührte weiter im Rindfleisch. Ich dachte wirklich, damit wäre die Sache ausgestanden und versuchte es mit dem Bajonett: Reinstechen, hebeln, nachfassen - es war auch damit kein Problem. Aber dann warf Konrad plötzlich den Löffel hin und grunzte: Dann melde es doch!
    Er sprach absichtlich laut und wurde mit jedem Wort lauter. Na los, schrie er schließlich durch die ganze Anlage: Reichsführer, ich melde, der von Jagemann hat was zu melden!
    Sogar Josef muß davon wach geworden sein und kam verschlafen in die Küche. Otto brauchte etwas länger. Und wir nahmen erst Haltung an, als sein Sessel um die Ecke rollte.
    Was denn los sei, fragte er mich, Essenfassen oder was?
    Jawohl, mein Reichsführer, zwei Minuten noch.
    Meine Stimme zitterte, aber Konrad zog sich ohne ein weiteres Wort in die Vorratsstollen zurück. Er fragte nicht einmal mehr, ob er wegtreten dürfe, dabei ist Otto eher pingelig in diesen Dingen. Zum Glück sah er diesmal darüber hinweg oder hatte es gar nicht gesehen mit seinem einen Auge.
    Solange die Kameraden still vor sich hin löffelten, konnte ich den Vorfall noch verschweigen. Denn noch immer hält sich jeder an das ungeschriebene Gesetz, bei den Mahlzeiten keine Gesprächsthemen zu verschwenden. Erst als alle fertig waren, meldete ich beiläufig den defekten Büchsenöffner und spielte - albern genug - eine Sache herunter, die an sich keine große war. Es sei von allem noch genug da, erklärte ich: Hunderte Konserven Wurst, sogar Rindfleisch aus dem Sonderkontingent, Gemüse natürlich und massenhaft Dosenbrot. Erst vor zwei Wochen hatte ich mit Konrad aus Langeweile Inventur gemacht. Und mit keinem Wort erwähnte ich seinen übertriebenen Auftritt.
    Verstehst Du, Liesbeth? Ich Idiot will ihn da raushalten - und was passiert? Er kommt dazu, als hätte er nur auf ein Stichwort gewartet und steckt die anderen auch noch an mit seiner Hysterie. Und ausgerechnet Josef - sonst eher bedächtig - nahm das garstige Wort zuerst in den Mund: Sabotage.
    Der Verdacht stand eine Weile im Raum wie eine heimliche Blähung, die ihre Wirkung erst allmählich entfaltet: Otto wollte mich dann natürlich sofort erschießen lassen, schrie nach einem Standgericht - Insubordination! Wenigstens waren Josef und Konrad noch so weit bei Vernunft, sich an unser stilles Abkommen zu erinnern: Denn würden wir diese Art von Ottos Befehlen nicht seit Jahren vorsätzlich übergehen, wäre keiner von uns mehr am Leben.
    Nun sitzt Dein armer Saboteur also im Arrest, was für sich genommen nicht schlimm wäre. Viele schöne Tage habe ich hier schon verbracht und mich immer ein wenig wie auf Fronturlaub gefühlt: Essen aufs Zimmer. Ab und zu eine Partie Schach mit dem Wachposten. Ruhe. Man hat ja sonst keinen Ort für sich. Während Otto Böttcher als Kommandeur seit Jahren das andere Gästezimmer bewohnt, wirkt hier noch alles wie neu, eine Pracht aus vertäfelten Wänden und schweren Möbeln. Nur das Grammophon ist leider kaputt. Wie oft habe ich Dich schon hierher geträumt, in Gedanken gestreichelt und mich doch wieder nur selbst berührt. Heute ist mir nicht mal danach zumute.
    Draußen debattieren die Kameraden nun schon seit Stunden. Aus den wenigen Worten, die durch die Türen dringen, läßt sich schließen, daß sie längst nicht mehr nur über mein Schicksal reden. Wieder einmal scheint sich alles um das eine Thema zu drehen, das uns seit Monaten spaltet und keinen mehr kaltlässt, seit die Detonationen über uns aufgehört haben. Es geht um Befehl 343/45, unseren Auftrag, letztlich um alles.
    So ein durchtriebener Hund! Plötzlich durchschaue ich auch die Dosenöffner-Affäre und könnte Konrad unter anderen Umständen für diesen Schachzug sogar

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