Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)
beschlossen, sich andere Gebiete zu suchen,
auf denen er mich schlagen konnte. Die Schule war das eine. Frauen waren das andere.
Er war unheimlich gut im Umgang mit Frauen.« Ben wirft von der Seite einen Blick
auf Sydney. »Wollen Sie das wirklich hören?«
»Ich glaube schon, ja.«
»Jeff konnte jede Frau um den Finger wickeln. Und es sah immer so aus,
als müsste er sich überhaupt nicht bemühen. Ich weiß nicht, wie er das gemacht hat.
Darüber wissen Sie wahrscheinlich mehr als ich.«
Sydney erinnert sich an den Tag, als Jeff auf die Veranda kam und mit
dem Finger über ihren Oberschenkel strich, vom Knie bis zum Saum ihrer Shorts. Das
war eine unverschämt intime Berührung gewesen, wenn man bedachte, wie wenig ihr
vorangegangen war. Sie kann sich vorstellen, dass solche Berührungen eine wirksame
Technik sind – man bringt eine Frau aus der Fassung, nimmt sie in Besitz, bevor
sie begreift, dass von ihr Besitz ergriffen wurde.
Sydney streckt die Beine auf dem Dach aus.
»Ich will hier, wo wir sitzen, eine kleine Terrasse bauen«, bemerkt Ben.
»Da, wo jetzt das Fenster ist, kommt eine Tür hin und draußen ein Sitzplatz, der
groß genug ist für zwei Stühle und einen kleinen Tisch.«
Sydney ist beeindruckt von der Stille. Keine Kinder, die am Strand herumtoben,
keine Autos, kein Tuckern eines Bootsmotors. »Wissen Sie, an dem ersten Tag auf
der Veranda damals hatte ich das Gefühl, durch meine Anwesenheit die Familienbalance
zu stören. Es kam mir vor, als hätte ich mich aufgedrängt.«
»Es drängt sich doch dauernd irgendjemand auf.«
»Nicht so wie ich.«
»Nein, wahrscheinlich nicht.«
»Ich habe mich verführen lassen.«
»Von Jeff?«
»Hm, ja, aber auch von der Schönheit des Ortes, denke ich, und von dem
Gefühl, einer Familie anzugehören.«
Ben sieht sie forschend an. »Ja, das leuchtet mir ein. Gleich zwei grandiose
Dinge: Schönheit und Familie. Obwohl ich, ehrlich gesagt, glaube, dass Sie ein bisschen
für meinen Vater geschwärmt haben.«
Sydney ist verblüfft. »Aber bestimmt nicht auf die Art –«
»Nein, das meinte ich auch nicht. Meinen Vater hat jeder ein bisschen
angeschwärmt.«
»Er war ein wunderbarer Mensch«, sagt Sydney.
»Ja, das war er.«
»Ich dachte, Jeff wäre wie er«, sagt sie.
»Ein vernichtender Irrtum.«
»Ben, warum haben Sie kein Wort zu mir gesagt? Über Jeff. Vor der Hochzeit.«
Ben holt tief Luft und lässt sie langsam wieder heraus. »Zuerst habe
ich gezögert, weil ich Ihnen nicht zu nahe treten wollte, und je länger es dann
ging, desto überzeugter wurde ich, dass Jeff Sie wirklich liebte.«
»Und da haben Sie sich zurückgezogen.«
»Falls er alles nur spielte, um mir eins auszuwischen, wollte ich nichts
damit zu tun haben. Und falls er Sie wirklich liebte, musste ich mich fernhalten.«
Ben hält inne. »Erinnern Sie sich an den Abend mit dem Schneesturm, als wir in der
Bar waren? Wenn ich Ihnen da gesagt hätte, was mit Jeff los ist, hätten Sie mir
geglaubt?«
Sydney denkt an den Matsch unter dem kleinen Tisch, an die Martinis,
daran, wie Ben sie an der Hand festgehalten hat.
»Wahrscheinlich nicht«, antwortet sie.
Sydney zieht den Reißverschluss ihres Sweatshirts auf. Ihre Bluse ist
zerknittert. »Was wird jetzt aus Ihrer Mutter?«, fragt sie.
»Sie hat einen guten Preis für das Strandhaus bekommen. Und das Haus
in Needham wird sich auch gut verkaufen. Ich versuche, in Boston eine Eigentumswohnung
für sie zu finden.«
»Wo ist Ihr Vater begraben?«
»In Needham.«
»Vielleicht fahre ich da mal hin.«
Ben schweigt.
Ja, sie wird Mr. Edwards’ Grab besuchen, und sie wird Rosen mitbringen.
Keine Treibhausrosen, sondern richtige aus jemandes Garten.
Aber vorher wird sie ins Museum gehen und sich das Gemälde ansehen.
»Haben Sie Jeff sehr geliebt?«, fragt Ben mit gepresster Stimme,
als hätte er diese Frage den ganzen Nachmittag mit sich herumgetragen. Sydney meint
an seinem Ton zu erkennen, wie viel die Antwort ihm möglicherweise bedeutet.
»Ja«, sagt sie aufrichtig. »Aber wenn so etwas passiert, stellt das alles
in Frage, was man einmal gefühlt hat. Es wird alles besudelt.« Sie dreht den Kopf,
um zu sehen, ob Ben mit ihrer Antwort zufrieden ist, aber er ist aufgestanden und
blickt zum steigenden Wasser hinaus.
»Mist«, sagt er.
Sie schwimmen zum Boot zurück. Das Wasser ist schneller gestiegen,
als Ben vorausgesehen hat. Er bleibt in Sydneys Nähe, und als das Gewicht ihrer
Kleider sie hinunterzieht und Seewasser
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