Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)
Vater ist im Vorderzimmer friedlich eingeschlafen. Alle weinen.
Wenn die neuen Eigentümer beschlossen haben, das alte Haus abzureißen,
um für ein neues Platz zu schaffen, wird der Bulldozer kommen und Mr. Edwards’
Rosengarten einebnen. All die Blüten, all die verschiedenen Arten, all die liebevolle
Pflege – innerhalb von Sekunden dahin. Die schmalen Schränke im oberen Stockwerk
werden sich neigen und stürzen. Die hohen Frontfenster werden zerspringen, und die
Veranda wird zersplittern. Das kann innerhalb von Tagen geschehen. Wenn sie heute
in zwei Wochen an den Ort zurückkehrte, wo sie einmal Jeff und Julie und Mr. Edwards
geliebt hat, würde sie dann vielleicht nichts mehr vorfinden außer einer Landschaft
glatter, platt gewalzter Erde? Würde vielleicht schon die Grube für ein neues Fundament
ausgehoben sein?
»Sydney?«
Ben steht am Fuß der Treppe. Seine Füße sind voll Sand. »Ben«, sagt sie
sofort. »Es tut mir leid.«
Er hebt abwehrend die Hand.
»Wenn ich denke, wie lange –«
»Tun Sie es nicht.«
»Wir sind reingelegt worden«, sagt sie. »Alle beide.«
Ben nickt. Sydney spürt, dass er nicht von der Vergangenheit sprechen
will, dass er vielleicht nie wieder darüber sprechen wird, was sein Bruder ihnen
beiden angetan hat.
»Alles in Ordnung?«, fragt sie.
Er zuckt mit den Schultern. »Und bei Ihnen?«
Sie neigt den Kopf zur Seite, als wollte sie sagen, vielleicht .
Ein langes Schweigen entsteht zwischen ihnen.
»Also«, sagt er.
»Also«, sagt sie.
Er stemmt die Hände in die Hüften und weist mit einer Kopfbewegung zum
Meer. »Wie ist es?«
Sydney starrt ihn an. »Wie ist was?«
»Ein letztes Mal?«
Ben kann unmöglich meinen, was sie glaubt, dass er meint.
»Ich war gerade unten und habe die Wassertemperatur geprüft«, sagt er.
»Das Wasser ist warm.«
»Ich kann nicht –«, wendet sie ein. »Ich habe meinen Badeanzug nicht
mit.«
Ben zuckt wieder mit den Schultern.
Sydney schaut zum Meer hinaus. Sie kann kaum den Wasserrand erkennen.
»Ich gehe mit Ihnen auf den Sand hinaus«, sagt sie. »Aber weiter nicht.«
Ben geht los, bevor sie es sich anders überlegen kann. Er ist schon am
Strand, als sie die erste Stufe hinuntersteigt. Sie lässt ihre Schuhe auf der untersten
stehen. Sie gräbt ihre Zehen in den kühlen Sand. Das Wasser kann eiskalt sein trotz
der herrlich milden Luft.
Sie legt die Arme um ihren Oberkörper und rennt zum Wasser. Einmal dreht
sie sich um und blickt zum Haus zurück. In einigen Zimmern brennt Licht; in anderen
ist es dunkel. Sie denkt flüchtig an Nonnen und junge Mütter, Männer, die Söhne
hatten, Männer die starben. Als sie Ben wiederentdeckt, ist er ein dunkler Schatten
am Wasserrand. Er zieht sich das Hemd über den Kopf, öffnet den Gürtel seiner Shorts.
Sie bleibt stehen, sie will ihm in seiner Nacktheit nicht zu nahe treten.
Sie wird jetzt am Strand bleiben, auf ihn achtgeben müssen.
Mit hohen Sprüngen setzt Ben über die niedrigen Brandungswellen und wirft
sich dann in eine gigantisch aussehende Woge.
Er steht auf und wischt sich prustend das Gesicht. »Kommen Sie rein«,
ruft er. »Es ist wie in der Badewanne.«
»Nein«, ruft sie zurück.
»Was ist denn? Trauen Sie mir nicht?«
»Ihnen trauen?«, ruft sie lachend.
Ben dreht sich herum und springt gekonnt in eine heranrollende Welle.
Sie lässt ihre Sachen in einem Häufchen zurück. Sie hebt die Arme. Die
Luft ist weich und warm auf ihrer Haut. Sie läuft dem Ozean entgegen, immer schneller.
Danksagung
Ein Roman gehört fast nie dem Autor allein. Ich hatte viele
Wegbereiter für diesen hier; manche von ihnen sind Profis, alle sind Freunde. Ich
führe sie hier in der Reihenfolge, in der sie das Manuskript gelesen haben, auf.
John Osborn. Rick Russo. Katherine Clemans. Jennifer Rudolph Walsh. Michael Pietsch.
Asya Muchnick. Celeste Cooper. Elinor Lipman. Pamela Marshall.
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