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Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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was ein Tritonus ist, aber weißt du auch, warum er der Hölle entspringt? Es gibt keine Hilfe. Nur Töne. Seit wir sind. Weißt du das? Keine Materie, keine greifbare Realität. Nur Töne, die alle, jeder in einem eigenen Dreieck, gefangen sind. Wie das verdammte Licht.« Dann schwieg er und starrte auf das blaue Meeresdreieck am Horizont … Um meine Frau Liliane in der Ad-Agency MAKE anzurufen, schien es ihm noch zu früh. Vielleicht war es ohnehin zu früh, sich Sorgen um mich zu machen. Er würde warten bis zum Abend, wenn Liliane erschöpft war und sich weniger leicht aufregte. Sir Dschejdschej, der 71-jährige Erfinder der Sonnenuhr ohne Schatten, der sich wie zur Buße der Brechung des Lichts zugewandt hatte, wartete auf die Verfärbung des Himmels.

8
    DIE GELENKSCHMERZEN haben nachgelassen. Gestern trafen meine Nachbarn hier ein. Herr Weihrich und seine Frau. Sie besitzen das größte Haus auf unserem Hügel über dem Dorf, ein paar Meter unterhalb von dem meinen gelegen, solide renoviert und mit einer nach Westen offenen Terrasse, auf die ich volle Sicht habe. Weihrichs kommen aus Hamburg, haben das Haus vor einigen Jahren erworben, als in Italien durch die Neofaschisten die Präsidialrepublik errichtet worden war. »Das hat uns Vertrauen eingeflößt«, sagte Klaus-Peter Weihrich seinerzeit, als er sich mir vorstellte. Er ist ein runder, nicht eben groß gewachsener Mecklenburger mit glattem Schädel, fährt alle zwei Jahre einen neuen Opel Kombi, den er ohne anzuschrammen den engen Weg von Dorf herauf lenkt. »So lange ich rechts und links einen Zentimeter Luft habe, hält mich keiner«, pflegt er zu dröhnen. Dann führt er mich um sein neues Auto, preist die Vorzüge gegenüber dem alten, beschreibt liebevoll, deutet, öffnet, schließt, bis seine Worte und Gesten die eines Verkäufers sind, der das Fahrzeug einem unentschlossenen Kunden aufdrängen will. Sein alter Wagen heißt von nun an nur noch »der Vorgänger«. Gestern Nachmittag – der Neue ist hellgrün wie ein Laubfrosch, und jeder, der ihm zu nahe tritt, hat von seinem Abglanz sofort eine ungesunde Gesichtsfarbe – musste ich die bis zur Dachkante hochgezogenen Rücklichter bewundern, »doppelte Strahlkraft, ohne zu blenden, das nenne ich Sicherheit, natürlich sieht man das nur im Dunkeln, ich führe sie Ihnen heute Nacht vor, Sie kommen doch auf ein Glas Wein?« So gut es in so dichter Nachbarschaft geht, halte ich Abstand. Carmen Weihrich, aus Essen gebürtig und deutlich jünger als ihr Mann, vermutlich aber auch schon Mitte Fünfzig, versteht sich ausgezeichnet auf Rote Grütze und darauf, Klaus-Peter Arbeit zu verschaffen. Ihre Kommandos sind nicht hart, aber knapp. »Terrasse vorn«, »Regenrinne«, »nach Dolcedo heute«, »Kaminholz«. Er verbringt seinen Urlaub willig in blauer Latzhose als Maurer, Spengler, Holzarbeiter und, in khakifarbener Windjacke, als Chauffeur. Auf seiner geröteten Vollglatze blitzen Schweißperlen in der Sonne, stets trägt er bei der Arbeit Handschuhe aus gelbem Leder, die er aus Hamburg mitbringt. So herrscht er über seine zahlreichen Werkzeugmaschinen, und Carmen herrscht über ihn. Sie kommt, höre ich jeweils in den ersten Tagen ihrer Urlaube, »eigentlich der Ärzte wegen« hierher. »Die italienischen Ärzte! Wahre Künstler! Elegant! Charmant! Feinfühlig! Nicht diese deutschen Kassenrüpel!« Vermutlich kennt sie fast alle Doctores zwischen Savona und San Remo, in der Klinik von Imperia weiß man zu viel von ihr, die sanftfingrigen Wunderheiler von Dolceaqua bis Sassello freuen sich auf die Einkünfte, die mit der Ankunft der deutschen Signora verbunden sind. Ich weiß, wann Carmen Weihrich einen Arztbesuch vorhat. Sie zieht sich dann besonders sorgfältig an, tritt zunächst nackt aus dem Haus auf die Terrasse, legt Unterwäsche und Strümpfe auf einem Stuhl zurecht, prüft, entscheidet sich anders, trägt Spitzenhöschen und Büstenhalter ins Haus zurück, tritt wieder hervor mit einer neuen Kombination aus ihrem offenbar unerschöpflichen Vorrat von Dessous.
    Sie weiß, dass ich sie beobachte. Manchmal winkt sie mir zu. Klaus-Peter nagelt am Zaun herum, ich winke zurück, er ruft »Hallo!«. Weihrichs sind freie Leute. Ich bin der dazugehörende Voyeur. Natürlich ist Carmens Gestalt ein bisschen wellig, wie es ihrem Alter zukommt, mehr Rubens als Tizian, aber sie trägt sich mit Lust, und darum bereitet ihr Anblick mir Vergnügen, mein Zuschauertum ihr wiederum das Gefühl, nicht übersehen

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