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Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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und sicher zu klingen, »dass ich keine Kunst achte, wenn es gegen die Fotografie geht. Aber wenn wir fortschreiten auf diesem Weg sogenannter Gerechtigkeit, wenn wir Freunden wie Stieftaal folgen, der sich nichts sehnlicher wünscht als eine unaufhörlich arbeitende Guillotine, und wenn wir den engen Pfad verlassen, den wir uns selbst abgesteckt haben, nämlich die Gewalt nur gegen die Arroganz der Objektive zu richten – wenn wir den Malern, den Bildhauern und Dichtern, den Musikern und Inszenatoren nicht mehr das Leben in dieser Wirklichkeit lassen, die wir retten – ja, ich weiß, nur wir , keiner sonst rettet diese Wirklichkeit – wenn wir, liebe Freunde im hohen Tribunal, den Tod in die Musik tragen … dann verkommen wir selbst zu Verbrechern und reaktionären Bilderstürmern. Und sind doch eigentlich geheiligte Erhalter der Schöpfung. Denn die Musik ist der einzige Ort, an dem die Menschheit ohne Unterschied eine gemeinsame ist.« »Was meinst du mit Guillotine?« hatte Stieftaal gefragt, mit einer lauernden Lüsternheit in der Stimme. Und Reeper hatte sich im hohen Stuhl aufgerichtet, so, dass erkennbar war, er wolle als Artimago das letzte Wort haben, und sich zu Tonnda, der am Ende des Tisches saß, vorgebeugt. »Du denkst mehr hingerissen als hinreißend, lieber Musik-freund. Denn der Vorteil der Musik, den du zweifellos richtig beschreibst, ist zugleich ihr entsetzlicher Abgrund. Eben dass sie die Welt eint, macht sie zum ungeheuerlichsten Missbrauch geeignet. Ihre Humanität macht sie anfällig zum beliebigen Gebrauch auch gegen die Gesetze einer weltfreundlichen Humanität. Eben dass keine Trennung in ihr wohnt, macht sie zerstörerisch. Wie sonst könnte ein Genie in ihrem Dienst wie Maxim Leiblich seine Kunst verkaufen an einen Fernsehkonzern, der mit jedem Bild die Welt verrät? Ich zweifle nicht an deiner Ideen-Treue. Aber ich frage dich, lieber Tonnda, was antwortest du auf die sphärischen Fragen? Jeder Baum, jedes Tier, jede Mikrobe bittet dich um Rettung, jedes Sauerstoffatom schreit dich um Hilfe an, jedes Neutron der Ionosphäre – ich weiß nicht mal, ob sie solche hat, nimm es« (er lachte über sich selbst) »als Bild. Sagst du den ausgerotteten Arten auch, dass die Musik ihnen nichts zugefügt hat? Oder bittest du sie um Verzeihung, weil du lieber auf die unerhörte Behandlung des Kontrapunktes bei Bach gelauscht hast, als dich vor ihrem Tod um ihre Erhaltung zu kümmern? Nein, Tonnda, auch die Musik tötet das Licht, wenn sie sich mit seiner gewaltsamen Brechung durch Objektive verbündet! Du weißt so gut wie ich, dass es die Linse ist, die unsere Welt auf den Kopf stellt und dieses verkehrte Bild als Wahrheit ausgibt. Und die Musik, die sich des Gewinnes bedient, der aus solchem Verbrechen erwächst, verrät ihre Humanität genauso wie alle die Pianisten und Geiger und Sänger und Dirigenten und Posaunisten, die den Diktatoren die Abende verschönen, ihr Publikum auf die Macht einstimmen und den Verbrechern an der Schöpfung mit dem Glanz der allgemeinsten Kunst das allgemeinste Ansehen verschaffen.« Hier hatte Stieftaal, der sich Stunden zuvor verpflichtet hatte, den Mord an Leiblich zu planen, vorzubereiten und auszuführen, heftig applaudiert, als habe sich sein beständiges Kopfnicken während der pathetischen Rede des Antimago in seine Hände verlagert. Tatsächlich befreite Stieftaal sich durch seinen Beifall von dem unerträglichen Druck, der stets in ihm anwuchs, wenn Tonnda und Reeper in intellektuelle Dispute verfielen und er selbst spürte, wie sein Kopf zu einem trockenen Schwamm wurde. Unaufhörlich dachte er: Warum fällt mir nichts ein, ich sollte jetzt mithalten, ich müsste auch was sagen, warum weiß ich nicht, was ich sagen soll, es müsste etwas Großes und Kluges sein, wenn ich nicht gleich was beitrage, halten sie mich für blöd, was ich nicht bin, himmelherrgott, wovon reden die beiden? Jetzt füllte er mit seinem Beifallklatschen die Leere in seinem Kopf und rief: »Tötet Beethoven!«
    Reeper nickte ihm nachsichtig und freundlich zu. Und Tonnda wusste, dass er unterlegen war. Das Tribunal teilte ihn als Beobachter in der Hollywood Bowl ein.
    Als der Dialog der damaligen Versammlung in ihm widerhallte, grinste er, weil ihm der Kitsch der Szene auffiel, der seinerzeit in einem Konferenzzimmer des Swissotels von Chicago vom Ernst der Todesplanung überdeckt waren. Er lachte leise. »Heinrich«, sagte er, »Heinrich, hast du einen Sinn für Musik? Du weißt,

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