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Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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Nobelpreisträger Cecil W. Brodsky in Texas Respekt ab. Als ihn die Nachricht aus Europa erreichte, wusste Sir Dschejdschej, dass es mir gelungen war, in den Rechner des Antimago einzudringen. Zugleich wusste er, dass er nicht der Einzige war, der einer solchen Nachricht für würdig befunden worden war. Reeper hatte anders reagiert, als Tonnda vorausgesehen hatte. Der Antimago war nicht erfreut über seinen neuen Gesprächspartner, sondern fühlte sich gefährdet und alarmierte seine alten Weggefährten. Aber wer vom einstigen »Hohen Tribunal« der Antimagisten lebte noch? Die Schrift verschwand, Tonnda lehnte sich in seinen Schreibtischsessel zurück, fuhr sich mit beiden Händen fest über den glänzenden Schädel, schob die Haut auf dem Knochen vor und zurück, die weißen Stellen zwischen den Pigmentflecken röteten sich. Dann zog er seine Rechte den Nacken hinunter, die Linke an Ohr und Kinn vorbei zur nackten Brust und zwischen den Inseln grauer Haare entlang. Er war nicht erschrocken über die Nachricht, aber beunruhigt. Hatte er Stieftaals Brief nicht ernst genug genommen? Immerhin waren sie sich einig gewesen, dass jetzt einer versuchen musste, den Antimago zu eliminieren, bevor er seine vor Jahrzehnten angekündigte Drohung, die »zweite Welt zu löschen«, in die Tat umsetzen konnte. »So lange ich mit ihm spreche«, hatte Stieftaal geschrieben, »so lange ich ihn füttere, scheint er stillzuhalten. Anna allein kann das nicht. Er unterhält sich gern mit ihr, aber er hält sie für unbedeutend. Mit mir geht es zu Ende, Tonnda – und was dann? Haben wir nicht schon genug Unheil angerichtet? Ich weiß weder, wo sein Programm zuschlagen wird, noch, wie weit die Vernetzungen Reepers jetzt reichen. Aber ich bin sicher: der Schaden wäre ungeheuer.« Dass Stieftaal ihn auf dem guten alten Postweg und handschriftlich unterrichtet hatte, war Tonnda zunächst kurios vorgekommen, dann sah er darin ein Zeichen der Vorsicht. Und so hatte er auf dem gleichen Weg geantwortet, dass er Reepers Macht nicht allzu hoch einschätze, doch jemanden schicken werde, der ein Experte in Bildbearbeitung sei, dem Antimago vermutlich unbekannt, und der selber nicht ahne, wie umfänglich sein Auftrag sei. Einen gewissen Heinrich Günz, werde er, Tonnda, nach Falling entsenden. Alles weitere sei dem Geschick Stieftaals überlassen. »Gut gemacht, Heinrich«, sagte Sir Dschejdschej vor sich hin, »und schneller als ich dir zugetraut habe. Etwas zu schnell und etwas zu gut vielleicht.« Auf dem Bildschirm waren jetzt wie zuvor die Berechnungen eines Kristallschliffs sichtbar, an denen er vor dem Eintreffen der Nachricht gearbeitet hatte. Er durfte hoffen, kurz vor dem Ziel zu sein: Der Schliff erlaubte eine besondere Form der Lichtbrechung, die im Kristall zwei leuchtende Linien von unterschiedlicher Länge wie Uhrzeiger aufscheinen ließ; sie drehten sich mit dem Weg der Sonne um die Mittelachse des gläsernen, zwölfseitig umschnittenen Zylinders. Tonnda hatte die Sonnenuhr ohne Schatten erfunden. In wenigen Tagen würden die Unterlagen für die Anmeldung zum Patent fertig gestellt sein.
    Er stand auf, lief über den weißen Steinboden in die Küche, trat auf dem Weg ein paar Ameisen tot und unterbrach damit für einen Augenblick den Verkehr auf der Transportstraße zwischen Vorratsschrank und Patio. Der Eisspender spuckte ihm beide Hände voll geschroteter, milchiger Kristalle, er packte sich, übers Spülbecken geneigt, das Eis auf den nackten Schädel. Es half nicht. Die Nachricht in seinem Kopf schrumpfte nicht. ETERNITY INVADER. NO PERMIT . Er konnte spüren, wie sich die Schrift in seinen Hirnwindungen ausbreitete und seine Zellen überschwemmte. Seine Unruhe wuchs. Er verfluchte seinen Einfall, Günz nach Europa zu senden, er verfluchte Europa und sich selbst. »Du bist ein dummer alter Kerl geworden, Jakob, du solltest abtreten.« Mit dem Küchenhandtuch trocknete er sich das Gesicht, ging zum Schreibtisch zurück, sicherte die Parameter der Schliffe, kopierte sie in sein elektronisches Schließfach in der Los Angeles-Zentrale von Compusec und bestellte sich zwei Tickets. Eines für den Hochgeschwindigkeitszug nach New York, ein weiteres für die nächste Schiffspassage nach Europa. Bestätigt wurden ihm eine Kabine auf der Regan und das Euro-Tor Le Havre. Er gab seine Kreditnummer und sein Confirm ein und schaltete das Gerät auf SLEEP .
    Tonnda konnte sich jetzt vorstellen, wieder zu trinken, wieder zu rauchen, wieder seine

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