Die Nacht der Haendler
beglückwünschen oder Ihnen mein Beileid aussprechen soll! Ich sprang mit Ihrem Brief wie ein Bock auf meiner Terrasse hin und her, konnte mir nicht klar werden, ob ich denn nun von kindischem Stolz angeschwollen oder von Neid zerfressen, in den befreienden Tanz geraten war. Meine Hunde zogen sich verwirrt in die Olivengärten zurück. Finanzminister! Sie! In der Regierung des immer noch mächtigsten Staates der Welt, ja des Staates überhaupt, auch wenn er pleite war und nur noch von täglich neu gedrucktem Scheingeld lebte! Und ich hielt seinen Brief in den Händen, mich fragte er um Rat – du lieber Himmel, welch eine späte Karriere habe ich durch Sie erfahren! Nun gut. Ich war froh, dass ich allein war, Weihrichs auf einem Medizin-Trip, Charisia unten im Dorf, Giacco schon wieder im Laden seiner Mutter; ich hätte sonst die Nachricht kaum für mich behalten können. Dass man aber auch in solchem Alter noch so hin- und hergerissen sein kann! Natürlich freue ich mich mit Ihnen. Fürs erste und obenhin. Aber verstehen Sie bitte, dass mich die neue Lage auch ängstigt. Wie viel hängt nun davon ab, dass Sie verstehen werden, was auf Sie zukommt. Wie viel also von mir, mein Gott, welch eine Last liegt jetzt auf meinen Worten! Mussten Sie mir das antun? Hätten Sie nicht ablehnen können? Gibt es denn kein Ende des Ehrgeizes?
Nehmen Sie mir bitte nicht übel, was ich schreibe, ich bin verwirrt und neige dazu, unsere Konversation als Ausgeburt eines digitalen Fakes anzusehen, womit einer seinen zynischen Spaß mit uns, seinen Dokumenten, betreibt. Ist denn noch mit meiner bescheidenen Vernunft zu begreifen, dass Sie einen solchen Posten annehmen? In einem Augenblick, in dem jeder Mensch, der bei Sinnen ist, die niedrigste Tätigkeit vorziehen, zumindest schon bei dem Wort »Finanz« die Flucht ergreifen würde? Falls wir beide versagen
– und vieles, wenn nicht alles deutet darauf hin –, wird man die Katastrophe mit Ihrem Namen betiteln, Sie kennen ja besser als ich die zwanghafte Neigung unserer Spezies, auf einen Einzelnen zu packen, was alle auf dem Gewissen haben! Wollen Sie denn unbedingt derart vernichtet in die Geschichtsbücher eingehen, wenn es solche noch geben sollte? Heute las ich in der Imperia unter der Überschrift »Virus der Angst«, dass die jüngsten Kurseinbrüche an den Börsen »mit der wirtschaftlichen Realität nichts zu tun« hätten. Der aufgeregte Kommentator schrieb: »Angesichts der Ungereimtheiten bedienen sich selbst unterkühlte Banker einer blumigen Sprache. Schon vor dem jüngsten Kurseinbruch in London war von einem ›Geisterbahn-Effekt‹ die Rede. Und die Bank Hofmann im schweizerischen Zürich glaubte gar, einen globalen Baisse-Virus für die Finanzmärkte entdeckt zu haben.« Obwohl das Angebotsvolumen den Rahmen des Üblichen keineswegs überstieg, stürzten die Kurse mit einem solchen Tempo ab, dass einige Analysten schon von einem Schwarzen Freitag wie 1929 sprachen. Kein Wunder also, wenn das HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung in Hamburg »eher in der psychologischen Verfassung und der Ratlosigkeit der Manager von riesigen internationalen Investmentfonds die Ursache für das Desaster sucht als in den realen ökonomischen Fakten.« Begreifen Sie, dass ich bei so unbeholfenen und panischen Erklärungsversuchen zwischen Lachen und Schreien schwanke? Nun gut. Ich werde Ihnen noch schneller als bisher schon – und wie viel habe ich ausgelassen, was ich Ihnen eigentlich mitteilen müsste! – meine Begegnung mit dem letzten großen Ideologen schildern, den ich an jenem Nachmittag in den Abgründen der Festplatte WELT entdeckt und – da er mich wie ein Wesen voller Gegenwart ansprach – in die erstaunlichen Vernetzungen seines Überlebensprogramms zurückgestoßen hatte. Noch immer saß ich im Dachstock des Hauses auf der Insel im Fallinger See, blickte aus dem halbblinden Giebelfenster und war unschlüssig, ob ich die ausgelegte Leimrute des Antimago betreten und mich auf sein Spiel einlassen sollte, dessen Regel ich nicht durchschaute. Was lockte mich? Nicht der Auftrag, den Dschejdschej und Stieftaal für mich vereinbart hatten. Ich bin im Zerstören nicht geübt. War nie im Krieg. Habe nicht einmal schießen gelernt. Sollte ich wirklich versuchen, ein Programm zu eliminieren, das kunstvoll angelegt und doppelt und dreifach gesichert war und immerhin vorgab, die Welt, die erste, die einzige, wirkliche, retten zu können? Hatte ich mich aber nicht selbst befreit
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