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Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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Programm Ihres Geheimdienstes, um herauszufinden, ob ich ein Programm bin? Wer entscheidet noch zwischen den Welten, wenn es unsere Sinne nicht mehr können? Das Leben ist Traum, sagten die Ältesten. Das Leben ist eine Bühne, sagten die Alten. Das Leben ist eine virtuelle Realität, sagen wir … Es ist an der Zeit, Ihnen zuzugeben, dass ich, was mich selbst angeht, mehr verwirrt bin, als Sie sich vorstellen können. Denn ich kann auch bei angestrengtester Bemühung nicht mit Gewissheit entscheiden, ob ich die Programmwelt Boris Reepers wirklich verlassen habe, seit ich ihm unter dem Weihrauchdrachen in der Kathedrale von Santiago de Compostela begegnet bin, seit unserem Flug zurück nach Falling, seit jener Walpurgisnacht, in der seine Puppen sich wunderlich belebten …
    Anna trat in mein Zimmer wie eine Verwandelte. Sie trug eine Robe aus Samt, magentafarben, bodenlang. Um ihren Hals ein blitzendes Collier. Ihr gelocktes Haar schien zu brennen, in einem glühenden Flirren roter und gelber Punkte, das ihr Gesicht weiß aufleuchten ließ und beißend gegen die Farbe des Kleides abstach. Das schöne Grün ihrer Augen hatte eine bläuliche Tönung angenommen, die Iris schien mir zum reinen, unnatürlich glänzenden Cyan verändert, das die zuvor noch ausufernde Schwärze der Pupillen zu einem gläsernen Knopf verengte. Mit einer kleinen Bewunderungsgeste deutet sie auf den Smoking, den ich auf dem Bett in meinem Zimmer vorgefunden und angezogen hatte, winkelte ihren linken Arm, um mich aufzufordern, sie zur Gesellschaft hinunterzuführen, und schritt an meiner Seite hoheitsvoll und derart sicher auf der Treppe den in der Halle versammelten Gästen entgegen, dass ich das Gefühl hatte, von ihr geleitet zu werden. Ebenso zielsicher griff sie nach den Gläsern, die ein bleicher Kellner uns auf silbernem Tablett entgegenhielt. Und bevor ich sie fragen konnte, reichte sie mir einen der beiden Kelche, blickte mir in die Augen und sagte: »Du solltest ein fröhliches Gesicht machen, in so illustrer Gesellschaft!« »Ich kann nicht begreifen, wie du plötzlich sehen kannst!« Sie lachte. »Aber das konnte ich immer, es war nur nie genug Licht!« Woher das Licht kam, kann ich nicht sagen. Es durchflutete die sonst düstere Halle bis in den letzten Winkel, nichts und niemand warf einen Schatten in diesem Licht, das alle Gegenstände und Menschen in klaren, heiteren Farben leuchten ließ. Menschen? Nun ja, die Puppen, die ich einst in gefrorenen Haltungen am Tisch des Speisesaals beim stummen Dîner vorgefunden und seither nicht wieder besucht hatte – sie standen hier in Gruppen beieinander, fügten ihre Kostüme zu einem Potpourri der Moden und Stände mehrerer Jahrhunderte zusammen, unterhielten sich laut, lachten, stießen ihre Gläser aneinander, einige rauchten. Dazwischen eilten die beiden Kellner stumm durch die gut gelaunte Gesellschaft, zwei farblose Gestalten, nur aus Schwarz, Weiß und Grau zusammengesetzte kleine Männer, die devot und sichtlich unzufrieden mit ihrer Dienerrolle ihr Geschäft versahen. Das Wunder, dass Anna mit einem Mal wieder sehen konnte, war nicht das einzige dieses Abends. Auch in den hohen Fenstern schienen mir die Damen und Herren der Nibelungen in heiterer Metamorphose begriffen, ihr tragischer Stoff beunruhigte sie nicht im mindesten, sie grinsten auf uns herab, als seien wir Figuren ihres Spiels, und ich sah, wie Hagen hinter dem auf der Bahre strampelnden Siegfried, der sich die Hand vor den Mund hielt, als wolle er ein seinem Tod unangemessenes Kichern verbergen, den Arm aus der Höhe herunter dehnte und mit der Bluthand einem der Kellner ein gefülltes Glas vom Tablett zog. Da erkannte ich diesen Kellner, erkannte sein in die Stirn geschrägtes Haar, seinen rechteckig geschnittenen Bartfleck auf der Oberlippe, seine vergrößerten schwarzen, starrenden Augen: Kein Zweifel, es war Hitler, der für diesen Abend aus seiner Hölle herüberbeordert worden war, um uns zu bedienen. Als er Hagen das Glas bot, drängte der zweite schwarzweiße Kellner sich vor, wollte besser gefallen, stieß mit der Hüfte Hitler zur Seite, reckte sein gefülltes Tablett in die Höhe, gierte nach Kriemhilds Hand, und die frische Witwe mit dem lüsternen Gesicht streckte ihm ihre gotischen Langfinger entgegen.
    Als ich mich im bauernschlauen, schnauzbärtigen Gesicht des zweiten Kellners zurechtgefunden und in ihm zweifelsfrei den einstigen Priesterzögling und Sohn einer Lebedame, den verschlagenen Georgier

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