Die Nacht Der Jaegerin
«Was soll das jetzt noch bringen, verdammt?»
«Bitte», sagte Merrily, «sprechen Sie weiter.»
«Sie müssen wissen ... er war völlig durchgeknallt, wirklich. Und in meiner Familie gibt es so viele Verrückte, dass einen das nicht überrascht. Jemand hat ihm von dieser Website erzählt, auf der lauter Sadisten sich daran aufgeilen, was Frauen Männern angetan haben, und er hat etwas davon ausgedruckt und unten an die Einfahrt von Stanner gehängt, um mir klarzumachen, dass er Bescheid wusste. Er war gefährlich. Er war ein Risiko. Irgendwann hätte er jemandem davon erzählt. Aber er wusste noch nicht hundertprozentig, ob er recht hatte.»
«Glauben Sie, dass er psychisch krank war?», fragte Merrily.
«Ich glaube, vor allem war der Alkohol daran schuld. Diese lebensgefährliche Mischung aus Alkohol und der Tatsache, dass er ein Chancery war.» Brigid zeigte mit ihrer Zigarette auf Bliss. «Und wie klingt
das
für Sie? Ich weiß nicht, warum ich überhaupt noch etwas sage. Dieser Typ glaubt mir doch ohnehin nichts.»
«Vertrauen Sie ihm. Er ist Katholik.»
«Aber eins will ich nochmal ganz klar sagen: Ich werde
niemals
das, was ich getan habe, mit so einer Art Opferrolle zu entschuldigen versuchen – weil ich die Tochter meiner Mutter war und Hatties Enkelin oder so. Ich lebe lieber damit, ein schlechter und bösartiger Mensch zu sein und dafür bestraft zu werden, als auch nur einen Schritt auf Sebastians Weg zu gehen. Lieber werde ich im Gefängnis alt. Lieber bin ich für die Boulevardzeitungen das gemeingefährliche Monster, das am besten tot wäre.»
«Und doch sind Sie hierhergekommen, um mehr über Ihre Vergangenheit zu erfahren. Sie haben mit Beth Pollen und der
White Company
zusammengearbeitet ...»
«Dabei ging es darum, Türen hinter mir zuzumachen, Merrily. Und es ging um Clancy – das habe ich doch schon erklärt. Es ging nicht um mich.»
«Wissen Sie», sagte Merrily. «Irgendwie glaube ich das nicht ganz. Sie verstehen ...»
«Nein, hören Sie ...»
«Sie verstehen Sebbies Probleme viel zu gut. Und er hat sie geleugnet, oder? Ich meine, wenn ihn jemand darauf angesprochen hat ...»
«Wenn man ihn darauf angesprochen hat, dann hat er so getan, als wäre ihm das alles vollkommen egal. ‹Immer dieser alte Mist!› – Ich habe ihm im Pub zugehört, wo er so herumgetönt hat, vielleicht sogar, damit ich es mitbekomme, bloß für den Fall, dass ich diejenige war, für die er mich hielt. Damit ich wusste, dass er vor nichts Angst hatte, ganz besonders nicht vor mir und der Vergangenheit.»
«Warum sollte er vor Ihnen Angst gehabt haben?», fragte Merrily.
«Das kann ich nicht sagen. Fragen Sie Jeremy danach.»
«Weil Ihre Mutter seine Mutter umbringen wollte, als sie klein waren? Weil Ellen Gethin ...»
«Warum ist er gestern Abend zu dem Wohnmobil gekommen?», sagte Bliss. «Und warum waren Sie dort?»
Merrily sagte, ohne recht zu wissen, weshalb ihr diese Frage plötzlich einfiel: «Sie wollten ihm helfen, oder?»
«Wie kommen Sie denn auf die Idee?»
«Ich weiß nicht.»
«Ich war ...» Brigid drückte ihre Zigarette in dem Metallaschenbecher aus. «Er hat mich nicht erpresst, klar? Er hat so was zu mir gesagt wie: ‹Ich habe dich erwartet, und du bringst ... Schwierigkeiten.› So in der Art. Ich war für ihn eine Bedrohung. Jeremy sagte, Sebbie hätte den Hund von Hergest gesehen, so wie andere Säufer rosa Elefanten sehen. Zu mir hat er das nie gesagt. Er sagte, er wollte, dass Brigid Parsons ihm
The Nant
verkauft, und er würde ihr einen fairen Preis zahlen, und das wäre dann das Ende einer langen, schlimmen Zeit. Er dachte, ich könnte Jeremy mitnehmen und ihm einfach ganz weit weg einen anderen Bauernhof kaufen. Er hat
eigentlich
nicht versucht, mich zu erpressen ... jedenfalls nicht von Anfang an. Aber ich wollte nicht gehen, verstehen Sie, und Jeremy ... nichts und niemand hätte Jeremy je von
The Nant
weggebracht, also habe ich zu Sebbie gesagt ... sollen wir uns mal treffen?»
«Am üblichen Treffpunkt», sagte Bliss.
«Ehrlich, ich habe nicht darüber nachgedacht. Es war so – wir hätten uns niemals wirklich gemocht, aber er wäre ja nirgends hingegangen, ihm gehörte alles im Umkreis von
The Nant
, und er hätte uns das Leben ziemlich schwer machen können, wenn er gewollt hätte – ich meine, er hatte uns ja mit diesen Wild-West-Typen schon eine Kostprobe gegeben. Ich dachte immer noch, wir könnten einen Weg finden, friedlich miteinander
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