Die Nacht der Schakale
Pullach zu konzentrieren, denn Bali stand mir im Moment näher. Ich sah auf die Uhr; es war Zeit, dem CIA-Vice gegenüberzutreten. Ich betrachtete mich im Spiegel und versuchte, mein Gesicht zu ordnen.
Der große Gregory saß an seinem Schreibtisch und löffelte einen Natur-Joghurt mit dem Behagen, das ein normaler Mensch beim Verzehr eines saftigen Steaks empfindet. »Sit down, Lefty«, forderte er mich gutgelaunt auf.
Ich ließ mich nieder und schob ihm in einem verschlossenen Umschlag das Dossier des Falls No Name zu.
»An appetizer, is'nt it?« fragte der große Gregory, für seine Verhältnisse fast vergnügt.
»Sure, Sir«, erwiderte ich.
Ich wollte ihm nicht gleich sagen, daß mir seine Delikatessen auf den Magen geschlagen waren. Er sah es mir vermutlich an. Wiederum hatte ich – wie schon bei der Lektüre der Materialsammlung – das unbestimmte Gefühl, in eine Art Verschwörung geraten zu sein. Bevor ich mich mit der Qualität der Unterlagen befaßte, hatte ich bereits festgestellt, daß das Kuckucksei im Pullacher Nest schon vor meinem Abflug in die Ferien ausgebrütet worden sein mußte.
»Schießen Sie schon los, Lefty«, forderte mich mein zweifelhafter Gönner auf und sah mich an wie ein Chirurg den Patienten, den er gleich unter das Messer nehmen wird. »Sie haben natürlich anhand der Eingangsstempel sofort gesehen, daß uns die ersten Hinweise bereits vor Wochen erreicht haben«, versuchte er mein Grimm zu entmannen.
»Richtig, Sir«, bestätigte ich. »Und ich frage mich, warum Sie mich jetzt partout an diesen Fall setzen wollen, nachdem Sie mich damals nicht hinzugezogen hatten.«
»Aus zwei Gründen«, antwortete der Vice, ungewöhnlich geduldig. »Erstens erreichte uns der wichtigste Teil der Informationen erst, als Sie bereits in Ihr schlitzäugiges Abenteuer aufgebrochen waren, und dann wurden Sie inzwischen von einem unserer besten Männer angefordert – Sie persönlich, Lefty!«
»Ich werde mir die Blumen ins Knopfloch stecken«, spottete ich.
»Cassidy«, nannte Gregory den Namen in der Manier des großen Magiers, der die nackte Jungfrau aus dem Kasten zaubert. »Sind Sie nicht sein Freund?«
»Hoffentlich bleibe ich es auch«, entgegnete ich. »Was hat Steve eigentlich mit dem Camp im Isartal zu tun?«
»Eine ganze Menge«, erwiderte Gregor)'. »Wir haben ihn vorübergehend als unseren Sonderbevollmächtigten in die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes entsandt.«
Er sah mich mit seinen kleinen starren Augen an, die wie hineingedrückt in tiefen Höhlen steckten. »Ich garantiere Ihnen, daß ich nichts damit zu tun habe, wenn Ihr Freund zu der Auffassung gelangt ist, daß er Sie unbedingt braucht, Lefty.«
Er konnte sagen, was er wollte. Gregory wußte ziemlich genau, daß ich kaum eine Möglichkeit hatte, eine Anforderung Steves auszuschlagen. Es gab eine stattliche Reihe von CIA-Leuten, mit denen ich recht gut auskam – und mindestens genauso viele, die ich nicht ausstehen konnte. Aber Steve war mein einziger Freund, und das nicht grundlos. Er hatte mich bereits zweimal aus der Klemme geholt und mir dabei einmal mit Sicherheit das Leben gerettet. Cassidy würde sich eher die Zunge abbeißen, als mich daran zu erinnern, daß noch eine Dankesschuld bestand. Er brauchte es auch nicht, denn das besorgte schließlich der Vice Director von Langley.
»Kommen wir endlich zur Sache«, forderte mich der große Gregory zu einer Analyse auf, die ebensogut er wie jeder andere Deutschland-Spezialist im Hause erstellen konnte. »Was halten Sie von diesen Vorgängen?«
»Es ist noch zu früh, um etwas davon zu halten«, erwiderte ich. »In diesem Stadium stehen noch viele Möglichkeiten offen. Zunächst einmal sieht es aus wie die ein wenig unübliche Eröffnung eines gewöhnlichen Geheimdienstspiels, in einer allerdings beträchtlichen Größenordnung. Es ist unübersehbar, daß Pullach in der Tat in rascher Folge drei ungewöhnliche Einbrüche in SSD-Agentenringe gelungen sind, vermutlich durch Hinweise von der anderen Seite, womöglich in allen drei Fällen dieselbe Quelle. Sie liegt im dunkeln. Wer der Informant auch sein mag, er hat keinen Namen, kein Gesicht, keine Dienststelle – und was noch weit mehr zählt, vorderhand auch kein Motiv.«
»Stimmt«, erwiderte mein Gegenüber, »aber wenn er das Spiel fortsetzen will – wenn er es nicht wollte, hätte er es mit Sicherheit nicht eingeleitet –, mußte er umgehend und irgendwie aus dem Dunkel heraustreten und uns
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