Die Nacht der Weisswurst-Vampire
Marionette ohne Fäden hing sie schlapp im Arm des Jungen, der sie verzweifelt vor den drehenden Messern retten wollte. Mit aller Kraft konnte er sie ein Stück zur Seite zerren, doch der Vampir lenkte den Mähdrescher sofort in seine Richtung. Träge drehte sich die Monster-Maschine zu ihm.
Dominik wußte sich keinen anderen Rat mehr. Er holte aus und verpaßte seiner Freundin zwei schallende Ohrfeigen.
Die wirkten. Poppi blickte ihn mit weit aufgerissenen Augen an, sah dann den Mähdrescher und stürmte los. So schnell und so flink, daß Dominik kaum nachkam. Wie ein Reh hüpfte Poppi durch das Feld und verschwand wieselflink zwischen den Halmen.
Schließlich erreichten sie wieder die Landstraße und standen genau vor dem grünen Leichenwagen. Nun sahen sie auch, was ihn aufgehalten hatte: eine Straßensperre war aufgestellt.
“Heute Landshuter Hochzeit!” las der Junge auf einem Schild. “Poppi, das klingt nach Fest!” keuchte er. “Da sind sicher viele Menschen. Dorthin wagt sich der Vampir nie!”
Sie liefen, taumelten, stolperten und hasteten in die malerische alte Stadt, die vor ihnen lag. Immer wieder drehten sie sich unterwegs um. Folgte ihnen der Vampir? Doch zu ihrer großen Erleichterung ließ er sich nicht blicken. Völlig entkräftet und schmutzig erreichten sie Landshut. Jetzt erst erkannten sie, daß ihre Jeans zerrissen waren und ihre T-Shirts Löcher hatten. Doch darum konnten sie sich nicht kümmern. Sie folgten der lauten, fröhlichen, mittelalterlichen Musik und kamen so zu einer breiten Straße.
Auf beiden Seiten standen tausende Menschen und reckten die Köpfe. Poppi blickte wieder einmal nach hinten und schrie leise auf: “Der Vampir! Da kommt er!”
Und tatsächlich hastete der hagere Blutsauger aus einem Gäßchen und streckte die dürren Finger nach Dominik und Poppi aus.
“In die Menschenmenge”, befahl der Junge seiner Freundin und drängte sich einfach frech nach vor.
Als die beiden Junior-Detektive das bunte Treiben in der Mitte der Straße sahen, staunten sie nicht schlecht. Beide hatten das Gefühl, um 500 Jahre in die Vergangenheit zurückversetzt worden zu sein.
Goldverzierte Kutschen, Pferde mit prachtvollen Satteldecken, Fahnenschwinger in uralten Gewändern und Bürger und Bettler, die in grobes Leinen gehüllt waren, zogen an ihnen vorbei.
“Was ist hier los? staunte Poppi.
Eine junge Dame blickte sie an und lachte: “Das weißt du nicht? Also ich finde, das ist der beste Scherz des Tages!”
An Poppis ratlosem Gesicht erkannte sie, daß es das Mädchen ernst meinte und erklärte nun: “Hier findet die Landshuter Hochzeit statt. Zum Gedenken an die tollste Hochzeit aller Zeiten. Im Jahr 1475 hat der bayrische Herzog Georg der Reiche eine polnische Königstochter zur Frau genommen. Die Hochzeit hat so viel Geld gekostet, daß er damit die ganze Stadt Landshut noch einmal hätte bauen lassen können. 333 Ochsen, 1.130 Schafe, 490 Kälber, 2.000 Schweine, 12.000 Gänse und 40.000 Hühner wurden verzehrt. Runtergespült haben das die Leute mit 870 Fässern Wein”, las sie aus einem Prospekt vor und setzte fort: “Die Bewohner der Stadt mußten keinen Pfennig bezahlen. Alles war frei! Das ist heute natürlich anders. Doch die Kostüme, die ihr seht, die sind alle aus echter Seide und echtem Samt. Die weißen Pelzränder sind keine Watte, sondern echter Hermelin, und der Brautwagen wird von acht echten polnischen Apfelschimmeln gezogen.
1.500 Landshuter spielen bei diesem Fest mit. Morgen gibt es dann noch das Ritterturnier. Das müßt ihr euch unbedingt ansehen!”
Mit einem Schlag fielen sowohl Dominik als auch Poppi ihre Freunde ein. Axel und Lilo - sie lebten nicht mehr. Der Vampir hatte sie in die Luft gejagt. Es gab keine Knickerbocker-Bande mehr. Es war alles vorbei. Wie auf Kommando begannen beide Kinder zu weinen.
Die Tränen kullerten über ihre Gesichter, und da sie völlig entkräftet waren, setzten sie sich einfach auf die Straße.
“He, was ist denn mit euch los?” erkundigte sich da eine Stimme. Dominik hob den Kopf und blicke auf zwei schwarze Hosenbeine. Der Junge erschrak fürchterlich.
Das Ende
Langsam hob Dominik den Kopf. Gehörten die Beine dem Vampir oder ...?
Erleichtert atmete er auf. Vor ihnen stand der geschwätzige Ottokar.
“Wenn ich euch sehe, dann denke ich sofort: Skandal total! Spielt ihr bei der Landshuter Hochzeit mit, oder geben sie euch nichts Besseres anzuziehen?”
“Bitte”, flehte Dominik leise,
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