Die Nacht der Wölfin
bist. Ich bringe ihn dazu, dass er es dir verbietet. Und falls du schon weg sein solltest, bringe ich ihn auf deine Spur.«
Clay streckte den Arm aus, um mich zu berühren, aber ich wandte mich ab und sah zum Fenster hinaus. Nach einem Augenblick des Schweigens öffnete sich quietschend die automatische Garagentür, und der Motor sprang an. Clay fuhr in halsbrecherischem Tempo rückwärts die Auffahrt hinunter, und wir waren auf dem Weg nach Bear Valley.
Unterwegs spürte ich, wie der Nebel aus Schmerz und Wut in meinem Hirn sich teilte bei der Aussicht darauf, etwas zu tun – etwas Gezieltes, Entscheidendes zu tun. Das Bedürfnis, nach Bear Valley hineinzujagen und mit einer rasenden Hetzjagd auf Logans Mörder zu beginnen, verflog unter dem kalten Gewicht der Wirklichkeit. Wenn ich Rache wollte, dann brauchten wir einen Plan. Als wir in die Stadt kamen, gerieten wir als Erstes in den Berufsverkehr und mussten eine ganze Ampelphase lang warten, bis wir die entscheidende Kreuzung erreicht hatten. Als die Ampel zum zweiten Mal auf Rot springen wollte, jagte Clay trotzdem noch über die Kreuzung, ohne sich um das Hupengeheul ringsum zu kümmern.
»Weißt du, was du machen willst?«, fragte ich.
»Parken.«
»Und dann…?«
»Das Schwein finden, das Logan umgebracht hat.«
»Phantastischer Plan. Bis ins letzte Detail.« Ich packte den Türgriff, als Clay scharf in den einzigen öffentlichen Parkplatz des Stadtzentrums einbog. »Jetzt können wir ihn noch nicht jagen. Es ist hell. Selbst wenn wir ihn finden würden, wir könnten nichts tun.«
»Was würdest du also vorschlagen? In Frieden zu Abend essen, während der Kerl frei rumläuft?«
Ich hatte seit dem Abend des Vortags nicht gegessen, aber mein Magen rebellierte bei dem Gedanken an Nahrung. Ich wollte mit der Jagd auf Logans Mörder beginnen, ebenso wie Clay es wollte, aber die Vernunft gebot etwas anderes. Ganz gleich, wie sehr mir der Gedanke zuwider war, dass irgendetwas uns von unserem Rachefeldzug ablenken sollte – es war genau das, was wir brauchten. Ein paar Stunden Ablenkung.
»Wir sollten rausfinden, was gestern Abend passiert ist.«
Clay preschte auf einen freien Parkplatz. »Was?«
»Rausfinden, wie die Stadt auf das reagiert, was bei der Party gestern Abend passiert ist. Den Schaden abschätzen. Suchen sie jetzt nach noch mehr wilden Hunden? Haben sie mit Brandons Leiche irgendwas vor? Hat jemand gesehen, wie du durch ein Fenster im zweiten Stock gesprungen bist? Hat jemand gesehen, dass ich mit dem Mutt verschwunden bin?«
»Herrgott noch mal, wen schert das, was die gesehen haben und was sie jetzt denken?«
»Dich nicht? Wenn sie beschließen, das zu obduzieren, was von Scott Brandon noch übrig ist, und es ihnen ein bisschen merkwürdig vorkommt – das kümmert dich nicht? Das hier ist dein eigener Hinterhof, Clay. Dein Zuhause. Du kannst es dir nicht leisten, dich nicht darum zu kümmern.«
Clay gab ein Geräusch von sich, das klang wie eine Mischung aus Seufzer und frustriertem Knurren. »Also gut. Was schlägst du vor?«
Ich zögerte; weiter hatte ich mir das Vorgehen noch nicht überlegt. Der Gedanke an Logan füllte mein halb betäubtes Hirn. Ich schob ihn zur Seite und konzentrierte mich auf die nächsten Schritte. Nach einer Pause sagte ich: »Wir kaufen die Zeitung, setzen uns ins Café und lesen sie, und dabei hören wir uns gleich an, was die Leute miteinander zu reden haben. Dann überlegen wir uns, wie wir diesen Mutt finden. Wenn es dunkel ist, tun wir's.«
»Die Scheißzeitung zu lesen wird uns kaum helfen, Logans Mörder zu finden. Dann sollten wir lieber zu Abend essen.«
»Hast du Hunger?«
Er stellte den Motor ab und schwieg einen Augenblick. »Nein, habe ich nicht.«
»Also. Wenn dir nichts Produktiveres einfällt, machen wir genau das, was ich gesagt habe.«
Fährte
Nachdem wir die Zeitung gekauft hatten, suchte ich mir eine Telefonzelle und rief Jeremy an. Peter ging ans Telefon, und so brauchte ich nicht einmal mit Jeremy selbst zu sprechen. Ich bat Peter, ihm auszurichten, dass ich mit Clay zusammen war und ihn davon überzeugt hatte, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war, um Logans Mörder zu jagen. Stattdessen würden wir herauszufinden versuchen, wie viel Schaden uns am Abend zuvor entstanden war. Natürlich erwähnte ich nicht eigens, dass wir später nach Logans Mörder suchen würden. Es ist alles eine Frage der Interpretation. Ich hatte nicht wirklich gelogen. Im Ernst.
Bear Valley
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