Die Nacht des einsamen Träumers.
Namen des Autors wusste er nicht mehr, in der von einem Dorf die Rede war, in dem Essen in der Öffentlichkeit als unsittlich galt. Tat man hingegen jenes andere vor aller Augen, nein, das war ganz normal und erlaubt. Im Grunde war er damit einverstanden. Ganz allein in Gaumenfreuden zu schwelgen ist eines der köstlichsten Vergnügen, die der Mensch genießen kann, und sollte mit niemandem geteilt werden, auch nicht mit dem Menschen, den man am liebsten hat.
Als er nach Marinella zurückkam, fand er auf dem Küchentisch einen Zettel von Adelina, seiner Haushälterin.
»Verzeien Sie, bin so frei, aber morgen Abend ist Silvester und meine beiden Söhne sind grad nicht im Gefengnis, und ich mach Arancini, die esen Sie doch so gern. Wenn Sie mir die Ere machen und komen wolen, Sie wisen ja die Adrese.«
Adelina hatte zwei kriminelle Söhne, die im Knast aus- und eingingen: ein glücklicher Zufall, selten wie das Erscheinen des Halleyschen Kometen, dass beide gleichzeitig in Freiheit waren. Und also mit Arancini gehörig zu feiern. Herrgott, die Arancini von Adelina! Er hatte sie nur einmal gegessen: eine Erinnerung, die bestimmt in seine DNS, sein genetisches Erbe, eingegangen war. Adelina brauchte zwei volle Tage, um sie zuzubereiten. Das Rezept wusste sie auswendig. Tags zuvor brät man Kalbund Schweinefleisch zu gleichen Teilen, das mit Zwiebeln, Tomaten, Sellerie, Petersilie und Basilikum stundenlang auf kleinster Flamme schmoren muss. Am nächsten Tag bereitet man einen Risotto zu, jenen Risotto, den man alla milanìsa nennt (aber ja ohne Safran!), kippt ihn auf die Tischplatte, mischt die Eier darunter und lässt ihn abkühlen. Unterdessen kocht man die Erbsen, rührt eine Bechamel an, schneidet ein paar Scheiben Salami in kleine Stückchen und vermischt das alles mit dem Schmorfleisch, das mit dem Wiegemesser (um Gottes willen nicht mit dem Mixer!) zerkleinert wurde. Der Fleischsaft wird mit dem Risotto verrührt. Dann nimmt man etwas Risotto, drückt ihn in die Mulde der Handfläche, gibt einen Löffel Füllung hinein, bedeckt sie mit Reis und formt sorgfältig eine Kugel. Die Kugeln einzeln in Mehl, dann in Eiweiß und in Semmelbröseln wälzen. Sodann legt man alle Arancini in eine Pfanne mit siedendem Öl und backt sie aus, bis sie dunkel goldfarben sind. Auf Papier abtropfen lassen. Und dann, Gott sei Lob und Dank, isst man sie! Montalbano hatte keinen Zweifel, mit wem er an Silvester zu Abend essen würde. Nur eine Frage quälte ihn, bevor er einschlief: Würden es die beiden missratenen Söhne Adelinas schaffen, bis zum folgenden Tag in Freiheit zu bleiben?
Am Morgen des Einunddreißigsten kam Fazio ins Büro und fing gleich an mit der Litanei oder Novene, oder wie man das auch nennen wollte:
»Dottore, wenn Sie heute Abend nichts Besseres vorhaben...«
Montalbano unterbrach ihn, und weil Fazio ein Freund war, sagte er ihm, wie er Silvester verbringen wollte. Anders als erwartet, verdüsterte sich Fazios Gesicht.
»Was ist?«, fragte der Commissario beunruhigt.
»Heißt Ihre Haushälterin Adelina mit Nachnamen Cirrinciò?«
»Ja.«
»Und ihre Söhne heißen Giuseppe und Pasquale?«
»Ja, klar.«
»Warten Sie einen Moment«, sagte Fazio und verließ das
Zimmer.
Montalbano wurde etwas nervös. Fazio kam kurz darauf zurück. »Pasquale Cirrinciò sitzt in der Klemme.« Der Commissario erstarrte, lebt wohl, Arancini.
»Was heißt das, er sitzt in der Klemme?«
»Das heißt, dass es einen Haftbefehl gibt. Die Kripo Montelusa. Wegen Einbruch in einem Supermarkt.«
»Diebstahl oder Raub?«
»Diebstahl.«
»Fazio, versuch, mehr darüber herauszubekommen. Aber nicht offiziell. Hast du Freunde bei der Kripo Montelusa?«
»Jede Menge.«
Montalbano hatte keine Lust mehr, zu arbeiten.
»Dottore, sie haben das Auto von Ingegnere Jacono in Brand gesteckt«, sagte Gallo, als er hereinkam.
»Geh und erzähl's Dottor Augello.«
»Commissario, heute Nacht wurde beim Buchhalter Pirrera eingebrochen, sie haben alles mitgenommen«, teilte Galluzzo ihm mit.
»Geh und erzähl's Dottor Augello.«
Tja, Mimi konnte sich von seinem Silvesterabend im Central Park verabschieden. Und er hätte ihm dankbar sein müssen, weil er ihn vor einer sicheren Vergiftung bewahrte.
»Dottore, es ist so, wie ich Ihnen gesagt habe. In der Nacht vom Siebenundzwanzigsten auf den Achtundzwanzigsten wurde in einem Supermarkt in Montelusa eingebrochen, sie haben einen
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