Die Nacht, in der er zurueckkehrte
jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit ein.
Als sie unten an der Treppe ankam, setzte ihr Herz für einen kurzen Moment aus. Sie hätte schwören können, dass sie am Abend zuvor das Küchenlicht ausgemacht hatte. Es gehörte zu ihrem Ritual vor dem Zubettgehen, dass sie durch das Haus ging und nachsah, ob alle Lampen gelöscht und die Türen und Fenster geschlossen waren.
Und sie konnte sich nicht vorstellen, dass ein Berglöwe, selbst wenn er die Klauen noch so weit ausstrecken konnte, das Licht anmachen würde.
Aus der Küche kam ein Geräusch von splitterndem Glas, und gleich darauf folgte ein unterdrückter Fluch.
Definitiv kein Puma, sondern ein menschliches Wesen.
Die Schrotflinte fest umklammernd, drückte sie sich an der Wand entlang. Sollte sie sich in ihr Büro schleichen und den Notruf wählen oder den Eindringling selbst stellen?
Was aber, wenn es mehrere Einbrecher waren? Besser erst die Polizei rufen.
Vorsichtig bewegte sie sich auf ihre Bürotür zu, als sie plötzlich ein Quieken hörte, fast ein Kichern, und dann eine tiefe Stimme als Antwort.
Sie kannte zwei süße Babys, die auch solche quiekenden Geräusche von sich gaben, aber die würden sie wohl nicht mitten in der Nacht besuchen. Joey Southerland, der zehn Monate alte Sohn von Quinn und Tess, schlief bestimmt friedlich in seinem Bett in Seattle, und die kleine Abby Western bei ihren Eltern Mimi und Brant in Los Angeles.
Wenn sie es nicht waren, wer konnte es dann sein?
Um das herauszufinden, würde ihr wohl nichts anderes übrig bleiben, als in die Küche zu gehen. Danach könnte sie, falls nötig, immer noch die Polizei anrufen.
Sie schlich zur Küchentür und riss sie auf. „Keine Bewegung, oder ich schieße!“, rief sie und bemühte sich vergebens, ihrer Stimme den nötigen Nachdruck zu verleihen.
Es dauerte einen Moment, bis sie sich an das grelle Licht gewöhnt hatte und etwas erkennen konnte.
Als sie sah, wer da in ihrer Küche stand, schoss ihr spontan der Gedanke durch den Kopf, dass ihr ein Berglöwe lieber gewesen wäre. Dann hätte sie wenigstens gewusst, was sie tun müsste. Doch mit diesem gefährlichen Mann ihr gegenüber, der etwas im Arm hielt – ein Baby …?
„Verdammt, East, du hast mich zu Tode erschreckt!“
Ihr wurde heiß und kalt zugleich. Das konnte doch nicht wahr sein. Vielleicht träumte sie ihren komischen Traum weiter. Warum sollte Cisco del Norte in ihrer Küche stehen, mit einem schwarz gelockten Baby im rosa Samtanzug im Arm?
Nein. Die Schrotflinte in ihrer Hand war real, ebenso wie der Mann in ihrer Küche, der sie aus müden Augen anblickte und aussah, als hätte er sich tagelang nicht rasiert. Seine Kleidung hatte auch schon bessere Zeiten gesehen.
Und er hielt definitiv ein Baby im Arm.
Sie legte die Schrotflinte beiseite und trat näher. „Du hast Glück, dass ich nicht gleich geschossen habe. Was machst du hier, Cisco? Warum hast du nicht angerufen? Und was ist das für ein Baby?“
Die Kleine auf seinem Arm fing wieder an, fröhlich zu glucksen, und Easton sah, dass sie gebräunte Haut und schwarze Locken wie Cisco hatte. Ihre Augen waren groß und blau, und sie hatte süße Grübchen in den Wangen.
Das Kind mochte ebenso alt wie Joey und Abby sein, aber darin war Easton kein Experte. Das Alter eines Kalbs konnte sie nach einem bloßen Foto bestimmen, aber bei Menschen fiel ihr das nicht so leicht.
„Das ist eine lange Geschichte“, erwiderte Cisco.
„Am besten fängst du ganz von vorne an und erzählst mir, warum ich ewig nichts von dir gehört habe. Und wie es kommt, dass du um fünf Uhr morgens mit einem Baby im Arm in meiner Küche stehst und aussiehst, als wärst du in einen Tornado geraten.“
Er seufzte, und sie bemerkte die feinen Linien um seinen Mund, den Anflug von Härte, der den jugendlichen Charme von früher überdeckte. Noch nie hatte sie ihn so erschöpft gesehen.
„Tut mir leid. Vielleicht hätten wir lieber in ein Hotel gehen sollen. Aber wir sind gestern von Bogotá nach Salt Lake City geflogen, und als wir spät abends ankamen, war Isabella in ihrem Babysitz eingeschlafen. In dem Mietauto schlief sie dann weiter, ohne auch nur einmal aufzuwachen, obwohl ich zwischendurch tanken musste.“
„Das erklärt nichts, außer dass das Baby Isabella heißt.“ Mit leiser Stimme fügte sie hinzu: „Und dass du aus Kolumbien kommst.“
Cisco hatte schon immer ein Talent zum Geschichtenerzählen, zum Erfinden von Gründen und Ausreden gehabt. Als er
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