Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
Prolog
Zum Aufwachen brauchte er zwei volle Tage.
Sein Herz, das vorher nur einmal täglich geschlagen hatte, begann sich allmählich schneller auszudehnen und wieder zusammenzuziehen. Das Blut, das zuvor so träge wie ein Gletscher durch seine Adern gekrochen war, fing nun an, zu schmelzen und zu fließen. Nerven entflammten zu neuem Leben und lösten Muskelzuckungen aus, als wieder Kontakt zu den lang vergessenen Gefilden der Hände und Füße hergestellt wurde.
Gleichzeitig mit seinem Körper erwachte auch sein Geist, vom mitternächtlichen Vergessen stieg er auf in ein Reich des Zwielichts, wo Träume wie Blumen von Rousseau erblühten, blutrot und mit Zähnen bewährt.
Endlich, nachdem die Kraft des Mondes durch sein Aufgehen und wieder Versinken sein Blut zwei Nächte lang Gezeiten gleich durch seinen Körper gezerrt hatte, schlug er die Augen auf und starrte in völlige Dunkelheit. Seine Hände verkrampften sich, fielen dann wieder zurück, zuckend wie die blassen Flossen einer an Land gespülten Meereskreatur. Als die Kontrolle über seine Muskeln zurückkehrte, hoben sich die Hände erneut, diesmal um das Holz zu berühren, das ihn umgab. Nägel, in der Zwischenzeit lang gewachsen und scharf wie Rasiermesser, kratzten verzweifelt an seinen Gefängniswänden, bevor er es schaffte, die Panik, die ihn zu ersticken drohte, zu überwinden. Er war nicht eingeschlossen, sagte er sich, seine Gedanken träge und schwer. Dies war sein Versteck, sein Zufluchtsort.
Die Hände sanken an seine Seite zurück, als Vernunft seinen aufsässigen Körper zügelte. Er holte tief Luft – es gab zwar kaum Sauerstoff, aber das war auch nicht wichtig. Warte, flüsterte ihm der langsame Puls in seinem Körper zu, warte.
Mehrere ungezählte Stunden später, gerade als der Mond über der schweigenden Stadt seinen Zenit erreicht hatte, bewegte er sich wieder. Diesmal stemmte er seine Hände gegen das Holz über ihm. Er drückte und wartete auf das Ächzen des sich hebenden Deckels, das berstende Geräusch von Nägeln, die aus ihrem Bett gezerrt wurden. Doch nur Stille und Finsternis umgaben ihn.
Unvermittelt raste wilde Panik durch sein Bewusstsein, schnappte mit Zähnen der Angst nach seinem kaum wiederhergestellten Verstand. Bleib ruhig, bleib ganz ruhig, sagte er sich und kämpfte gegen die Furcht an. Er hatte so etwas noch nie zuvor erlebt, dieses Versagen seines Körpers, der seine Befehle nicht ausführte. Aber andererseits hatte er auch nie so lange gewartet. Konnte es sein, dass er seine Kraft falsch eingeschätzt hatte? Waren es zu viele Jahre gewesen, und waren seine Kräfte so geschwunden, dass er nicht mehr aus seinem Versteck herauskam? Was, wenn er festsaß? Konnte er hier drinnen verhungern? Würde der Hunger das vollbringen, was Kugeln und Schwerter in mehr als vierhundert Jahren nicht hatten bewirken können? Und wenn ja, wie lange würde es dauern? Würde sein Geist zerbrechen, ehe sein Körper dahinfaulte? Einen schreckerfüllten Augenblick lang malte er sich eine Ewigkeit voll gierigem, heißhungrigem Wahnsinn aus, eingeschlossen in diesem doppelten Grab aus Holz und Knochen.
Ein Laut entwich seinen Lippen, ein heiser-kehliges Stöhnen der Rebellion. Dann übte er erneut Druck auf den Deckel aus, und diesmal erhielt er ihn aufrecht, bis er über dem Tosen in seinen Schläfen das Knacken des Holzes hörte, als es über seinen Händen zersplitterte.
Wieder öffnete er die Augen. Es gab kein Licht, aber er brauchte auch keines, um den etwa einen Meter langen Spalt im Holz zu erkennen. Er glaubte, die wilde Süße der Nachtluft zu wittern, und die Illusion verlieh ihm Kraft.
Zehn weitere Minuten drückte er und riss am Deckel, dann war der Spalt im Holz breit genug für seine beiden Arme. Der dünne, brüchig gewordene Stoff seiner Jacke riss, dort, wo Holzsplitter hervorragten, als er einen Arm durch das Loch schlängelte, um den Rand des Deckels zu fassen zu bekommen. Harte, schartige Krallen glitten in die Ritze zwischen Deckel und Korpus und zerrten, bis die Nägel mit einem schwachen Ächzen des Protests ihren Halt im Holz lösten. Ein weiterer Stoß, und er war frei.
Anschließend ruhte er für eine Stunde, die ihm zum allerersten Mal derart lang vorkam. Dann kletterte er langsam aus der Kiste, wobei er sich haltsuchend an diese lehnte. Der Raum, in dem er sich befand, war nicht viel breiter als die Kiste selbst. Er sah sich langsam um und fühlte das Gewicht des Gebäudes über ihm. Er tastete nach
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