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Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Baker
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seinen Tod erklären oder welche Art von Begräbnis sie abhalten würden. Was auch immer es sein mochte, er würde dabei keine Rolle zu spielen haben. Deshalb hatte er sich für sein eigenes Ritual entschieden, eines, das ihm den Trost spenden sollte, den solche Riten traditionell boten.
    Rossokow griff in seine Tasche und zog ein kleines Stück Papier heraus. Er hatte es aus dem hinteren Teil von Fujiwaras Tagebuch geschnitten und die Worte sorgfältig darauf kopiert. Er zweifelte nicht, dass sie völlig anders ausgesehen hatten, als Fujiwara sie im 15. Jahrhundert geschrieben hatte, kurz nach seiner Begegnung mit Hidekane, dem Schauspieler. Er kannte die Worte auswendig, hielt aber dennoch inne, um sie noch einmal zu lesen:
    Herbstchrysanthemen blühen,
Doppelt lieblich ob ihrer Süße
Und der Schatten, die unter ihnen liegen
Und warten, bis sie fallen.
     
    Er faltete das Papier sorgfältig zusammen, faltete es dann ein zweites Mal und sah sich um. Ein kurzes Stück von der Stelle entfernt, wo er stand, war ein Baum. Wahrscheinlich war es früher einmal eine Fichte gewesen. Irgendwann einmal in der Vergangenheit musste ein Blitzstrahl ihn gefunden haben, denn jetzt war nur noch ein dünner schwarzer Stamm übrig geblieben, der aus der Erde ragte.
    Er ging auf den Baum zu und strich mit der Hand über das verbrannte Holz. Ein kurzes Stück über Augenhöhe hatte der Blitz den Stamm gespalten, und der dünne Spalt fing dort an und weitete sich nach oben hin, dort, wo der Stamm in zwei scharfen Spitzen auslief.
    »Gott befohlen, Sadamori«, flüsterte er, als er das Papier in das dunkle Herz des Baums versenkte. »Ich bin dankbar für dein Leben. Dein Tod hat mich gerettet. Ruhe in Frieden, wo immer du sein magst.«
    Dann drehte er sich um und sah Ardeth oben am Weg stehen.
    Er machte einen Schritt nach vorne und noch einen, ebenso wie sie, und sie trafen sich irgendwo in der Mitte des vom Mond beschienenen Ufers. »Ich bin auch hergekommen, um mich von ihm zu verabschieden«, sagte sie nach einem unsicheren Schweigen.
    »Ist Akiko abgereist?«
    »Ja.« Ihr Mund verzog sich leicht amüsiert. »Er hat mir etwas Geld hinterlassen.«
    »Mir auch.« Er hatte erwartet, dass Fujiwara das tun würde. Dass er anerkannt hatte, dass sie zwei separate Existenzen waren, hatte Ardeth dem Anschein nach gutgetan. Er verspürte einen leichten Stich, aber zu seiner Überraschung war der Schmerz gleich wieder verflogen. »Was wirst du damit tun?«
    »Das weiß ich noch nicht. Mark hat mich gefragt, ob ich mit ihm in Kalifornien klettern gehen will.«
    »Und, hast du das vor?«
    »Vielleicht. Ich würde gerne wieder klettern. Aber in Kalifornien ist viel Sonne«, sagte sie dann mit einem kleinen Lächeln. »Und ich muss mich noch entscheiden, ob Ardeth Alexander offiziell tot ist oder nicht. Und du?«
    »Ich habe noch nicht darüber nachgedacht. Wirst du eine Weile in Banff bleiben?« Sie erwiderte seinen Blick mit ernsten Augen.
    »Möchtest du das?«
    »Ja.« Sie wandte sich einen Augenblick lang ab und starrte über den See auf die dunklen Silhouetten der Berge.
    »Ich kann nicht lange bleiben. Das weißt du.«
    »Ja.«
    »Es gibt viele Dinge, die zwischen uns noch ungeklärt geblieben sind. Ich glaube auch nicht, dass wir sie jetzt schon klären können. Fujiwara hat Recht gehabt. Ich bin zu jung.«
    »Ja, das bist du«, erkannte Rossokow. »Ich weiß, dass unsere Wege sich trennen müssen, damit sie eines Tages wieder zusammenfinden können. Aber ich möchte die Trennung noch eine Weile aufschieben.«
    Sie gab nicht gleich Antwort. Er betrachtete ihr Profil und sehnte sich plötzlich mit einer Eindringlichkeit, die ihm Angst machte, danach, sie zu berühren, ihr Haar zu glätten, das der Wind zerzaust hatte, die kühle Rundung ihrer Wange zu fühlen. Dann drehte sie sich schließlich herum und sah ihn an. »Ich auch«, sagte sie leise. »Ich will dich nicht wieder verlassen. Noch nicht.« Sie legte die Hand auf seine Brust, und ihre Finger griffen nach dem Revers seines Mantels, hielten es fest.
    Dann küssten sie sich im Mondlicht auf dem Berg, ein Willkommen und zugleich ein Lebewohl.

Titel der amerikanischen Originalausgaben:
    THE NIGHT INSIDE
    Deutsche Übersetzung von Heinz Nagel
    BLOOD AND CHRYSANTHEMUMS
    Deutsche Übersetzung von Heinz Zwack
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Überabeitete Neuausgabe 05/2011
    Redaktion: Julia Abrahams
    Copyright © 1993,1994 by Nancy Baker
    Copyright © 2011 dieser Ausgabe

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