Die Nacht Von Lissabon
Tisches.«
Schwarz sah mich an und lächelte. »Sie warf sie nicht fort«, sagte er. »Sie zerriß sie nicht. Sie legte sie in die Schublade. Sie konnte sie so wieder hervorholen und aufstellen, wann sie wollte. Ich weiß nicht warum, aber diese Geste von Raison d’être entzückte mich. Fünf Jahre früher hätte ich sie nicht verstanden und eine Szene gemacht. Jetzt zerbrach sie eine Situation, die pompös zu werden drohte. Wir ertragen große Worte in der Politik, aber noch nicht im Gefühl. Leider noch nicht. Umgekehrt wäre es besser. Helens französische Geste zeigte nicht weniger Liebe; nur weibliche Vorsicht. Ich hatte sie einmal enttäuscht; wozu sollte sie mir sofort wieder trauen? Ich dagegen hatte nicht umsonst in Frankreich gelebt; ich fragte sie nichts. Was hatte ich auch zu fragen? Und woher hätte ich ein Recht dazu gehabt? Ich lachte. Sie stutzte. Dann begann sich ihr Gesicht zu erhellen, und sie lachte auch. ›Hast du dich eigentlich von mir scheiden lassen?‹ fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf. ›Nein. Aber nicht deinetwegen. Ich habe es nicht getan, um meine Familie zu ärgern.‹«
5
»Ich schlief nur wenige Stunden in dieser Nacht«, sagte Schwarz. »Ich war sehr müde, aber ich wachte oft auf. Die Nacht drängte von außen gegen den kleinen Raum, in dem wir lagen. Ich glaubte Geräusche zu hören, und in sekundenlangen Halbträumen war ich auf der Flucht und schreckte hoch.
Helen wachte nur einmal auf. ›Kannst du nicht schlafen?‹ fragte sie durch das Dunkel.
›Nein. Ich habe es auch nicht erwartete Sie machte Licht. Die Schatten sprangen aus dem Fenster. ›Man kann nicht alles verlangen‹, sagte ich. ›Über meine Träume habe ich keine Kontrolle. Ist noch Wein da?‹
›Genug. Darin ist meine Familie zuverlässig. Seit wann trinkst du Wein?‹
›Seit ich in Frankreich bin.‹
›Gut‹, sagte sie. ›Verstehst du schon etwas davon?‹
›Nicht viel. Hauptsächlich von Rotwein. Billigem.‹
Helen stand auf und ging in die Küche. Sie kam mit zwei
Flaschen und einem Korkenzieher zurück. ›Unser glorreicher Führer hat das alte Weingesetz modifiziert‹, sagte sie. ›Früher durfte bei Naturweinen kein Zucker zugefügt werden. Jetzt darf sogar die Gärung unterbrochen werden.‹
Sie sah mein verständnisloses Gesicht. ›Das macht saure Weine in schlechten Jahrgängen süßer‹, erklärte sie und lachte. ›Ein Schwindel der Herrenrasse, um den Export zu erhöhen und Devisen hereinzubekommen.‹
Sie gab mir die Flaschen und den Korkenzieher. Ich
öffnete eine Flasche Mosel. Helen brachte zwei dünne Gläser. ›Woher bist du so braun?‹ fragte ich.
›Ich war im März in den Bergen. Skilaufen.‹
›Nackt?‹
›Nein. Aber man kann nackt in der Sonne liegen.‹
›Seit wann läufst du Ski?‹
›Jemand hat es mir beigebracht‹, erwiderte sie und sah mich herausfordernd an.
›Gut. Es soll sehr gesund sein.‹
Ich füllte ein Glas und gab es ihr. Der Wein roch herber und aromatischer als die burgundischen Weine. Ich hatte keinen mehr getrunken, seit ich Deutschland verlassen hatte.
›Willst du nicht auch wissen, wer es mir beigebracht hat?‹ fragte Helen.
›Nein.‹
Sie sah mich überrascht an. Früher hätte ich wahrscheinlich die ganze Nacht hindurch danach gefragt. Jetzt war nichts belangloser. Die schwerelose Unwirklichkeit des Abends war wieder da. ›Du hast dich geändert‹, sagte sie.
›Heute abend hast du mir zweimal gesagt, ich hätte mich nicht geändert.‹ erwiderte ich. ›Das eine ist ebensowenig wichtig wie das andere.‹
Sie hielt ihr Glas, ohne zu trinken. ›Vielleicht möchte ich, daß du dich nicht geändert hättest.‹
Ich trank. ›Um mich leichter zu zerschlagen?‹
›Habe ich dich früher zerschlagen?‹
›Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht. Es ist sehr lange her. Wenn ich daran zurückdenke, wie ich damals war, wüßte ich nicht, warum um alles in der Welt du es nicht versucht haben solltest.‹
›Man versucht es immer; weißt du das nicht?‹
›Nein‹, sagte ich. ›Aber ich bin jetzt gewarnt. Der Wein ist gut. Wahrscheinlich ist bei ihm die Fermentation nicht unterbrochen worden.‹
›Wie bei dir?‹
›Helen‹, sagte ich. ›Du bist nicht nur sehr aufregend - du bist auch komisch, und das ist eine außerordentlich seltene und reizvolle Kombination.‹
›Sei nicht so sicher‹, erwiderte sie ärgerlich und setzte sich auf das Bett, den Wein immer
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