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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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ist.«
    »Das ist jede tödliche Krankheit, Herr Schwarz. Immer.«
      Er nickte und schwieg. »Haben Sie noch Hunger?« fragte er dann.
    »Nein. Warum?«
    »Sie sagten etwas davon.«
      »Das war auch nur ein Beispiel. Ich habe heute bei Ihnen schon zweimal zu Abend gegessen.«
      Er blickte auf. »Wie das klingt! Zu Abend essen! Wie tröstlich! Wie unerreichbar, wenn alles vorbei ist!«
    Ich schwieg. Nach einer Weile sagte er ruhiger:
      »Die gelben Sessel. Sie waren neu bezogen worden, das war alles, in den fünf Jahren, in denen mein Dasein ein Dutzend Saltos der Ironie geschlagen hatte. Es scheint manchmal nicht zusammenzupassen, das war es, was ich meinte.«
      »Ja. Der Mensch stirbt, aber das Bett bleibt. Das Haus bleibt. Die Dinge bleiben. Man möchte sie auch zerstören.«
    »Nicht, wenn sie einem gleichgültig sind.«
      »Man soll sie nicht zerstören«, sagte ich. »Man ist nicht so wichtig.«
    »Nein?« erwiderte Schwarz und hob mir ein plötzlich verstörtes Gesicht entgegen. »Nicht wichtig? Natürlich nicht! Aber sagen Sie mir - was sonst ist wichtig, wenn ein Leben nicht wichtig ist?«
      »Nichts«, erwiderte ich und wußte, daß es wahr war und doch nicht wahr. »Nur wir machen es wichtig.«
      Schwarz trank hastig von dem dunklen Wein. »Und warum nicht?« fragte er laut. »Wollen Sie mir sagen, warum wir es nicht wichtig machen sollen?«
      »Das kann ich Ihnen nicht sagen. Es war auch nur eine dumme Redensart. Ich nehme es selbst wichtig genug.«
      Ich sah auf die Uhr. Es war kurz nach zwei. Das Orchester spielte Tanzmusik; einen Tango, in dem kurze, gedämpfte Hornstöße mich an die fernen Sirenen eines abfahrenden Schiffes erinnerten. Nur noch ein paar Stunden, dachte ich, bis zur Dämmerung, dann kann ich gehen. Ich fühlte nach den Fahrscheinen in meiner Tasche. Sie waren da. Fast hätte ich es nicht mehr geglaubt; die ungewohnte Musik, der Wein, die verhängten Räume und die Stimme von Schwarz hatten etwas Einschläferndes und Unwirkliches.
      »Ich stand noch immer in der Tür zum Wohnzimmer«, fuhr Schwarz fort. »Helen sah mich an und fragte: ›Ist dir deine Wohnung so fremd geworden?‹
      Ich schüttelte den Kopf und machte in paar Schritte vorwärts. Eine merkwürdige Verlegenheit hatte mich erfaßt. Die Dinge schienen nach mir greifen zu wollen; aber ich gehörte nicht mehr zu ihnen. Ein Schreck durchzuckte mich: daß ich vielleicht auch nicht mehr zu Helen gehöre. ›Es ist alles, wie es war‹, sagte ich rasch und heiß und verzweifelt. ›Alles, wie es war, Helen.‹
      ›Nein‹, erwiderte sie. ›Nichts ist mehr so. Weshalb bist du zurückgekommen? Deshalb? Damit alles so sei, wie es war?‹
      ›Nein‹, sagte ich. ›Ich weiß, daß es das nicht gibt. Aber haben wir nicht hier gelebt? Wo ist das geblieben?‹
    ›Nicht hier. Es ist auch nicht in den alten Kleidern
    geblieben, die wir weggeworfen haben. Meinst du das?‹
      ›Nein. Ich frage nicht für mich. Aber du warst immer hier. Ich frage für dich.‹
      Helen sah mich seltsam an. ›Warum hast du nie früher gefragt?‹ sagte sie dann.
      ›Früher?‹ erwiderte ich verständnislos. ›Warum früher? Ich konnte nicht kommen.‹
    ›Früher. Bevor du weggingst.‹
      Ich begriff sie nicht. ›Was hätte ich fragen sollen, Helen?‹
      Sie schwieg eine Weile. ›Warum hast du mich nicht gefragt mitzugehen?‹ sagte sie dann.
      Ich starrte sie an. ›Mitzugehen? Weg von hier? Von deiner Familie? Von allem, was du liebtest?‹
      ›Ich hasse meine Familie.‹ Ich war völlig verwirrt. ›Du weißt nicht, was es heißt, draußen zu sein‹, murmelte ich schließlich.
    ›Du wußtest es damals auch nicht.‹
      Das war wahr. ›Ich wollte dich hier nicht wegnehmen‹, sagte ich lahm.
      ›Ich hasse es‹, erwiderte sie. ›Alles hier! Weshalb bist du zurückgekommen?‹
    ›Du hast es damals nicht gehaßt.‹
    ›Weshalb bist du zurückgekommen?‹ wiederholte sie.
    Sie stand auf der anderen Seite des Zimmers, getrennt von mir durch mehr als die gelben Sessel und durch mehr als fünf Jahre Zeit. Feindseligkeit und eine wache Enttäuschung schlugen mir plötzlich entgegen, und ich fühlte dumpf, daß ich in meinem, mir selbstverständlich erscheinenden Wunsch, sie keinen Schwierigkeiten auszusetzen, sie vielleicht schwer gekränkt hatte, als ich flüchtete und sie zurückließ.
      ›Weshalb bist du zurückgekommen, Josef?‹ fragte Helen.
      Ich hätte gern

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