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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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noch in der Hand.
      ›Ich bin nicht sicher. Aber äußerste Unsicherheit kann, wenn sie nicht zum Tode führt, zu einer Sicherheit fuhren, die nicht zu erschüttern ist‹, sagte ich lachend. ›Das sind große Worte, aber sie sind nur die einfache Erfahrung eines Kugel-Daseins.‹
    ›Was ist ein Kugel-Dasein?‹
      ›Meines. Eines, das nirgendwo bleiben kann; das sich nie ansiedeln darf; immer im Rollen bleiben muß. Das Dasein des Emigranten. Das Dasein des indischen Bettelmönches. Das Dasein des modernen Menschen. Es gibt übrigens mehr Emigranten, als man glaubt. Auch solche, die sich nie vom Fleck gerührt haben.‹
      ›Das klingt sehr gut‹, sagte Helen. ›Besser als bürgerliche Stagnation.‹
      Ich nickte. ›Man kann es auch mit anderen Worten beschreiben; dann klingt es nicht so gut. Aber unsere Vorstellungskraft ist gottlob nicht sehr groß. Sonst würde es auch viel weniger Kriegsfreiwillige geben.‹
      ›Alles ist besser als Stagnation.‹ sagte Helen und trank ihr Glas aus.
    Ich betrachtete sie, während sie trank. Wie jung sie ist,
    dachte ich, wie jung, unerfahren, trotzig liebenswert, gefährlich und töricht. Sie weiß nichts. Nicht einmal, daß bürgerliche Stagnation ein moralischer Zustand ist; kein geographischer.
    ›Möchtest du in sie zurück?‹ fragte sie.
      ›Ich glaube nicht, daß ich es könnte. Mein Vaterland hat mich wider meinen Willen zum Weltbürger gemacht. Nun muß ich es bleiben. Zurück kann man nie.‹
    ›Auch nicht zu einem Menschen?‹
      ›Auch nicht zu einem Menschen‹, sagte ich. ›Selbst die Erde führt ein Kugel-Dasein, ist ein Emigrant der Sonne. Man kann nie zurück. Oder man zerkracht.‹
      ›Gott sei Dank.‹ Helen hielt mir ihr Glas hin. ›Wolltest du nie zurück?‹

  ›Immer‹, erwiderte ich. ›Ich folge nie meinen Theorien. Das gibt ihnen doppelten Reiz.‹
    Helen lachte. ›Das alles ist nicht wahr!‹
      ›Natürlich nicht. Es ist ein bißchen Spinngewebe, um anderes zu verdecken.‹
    ›Was?‹
    ›Etwas ohne Worte.‹
    ›Etwas, das es nur nachts gibt?‹
      Ich antwortete nicht. Ich saß ruhig im Bett. Der Wind der Zeit hatte aufgehört zu wehen. Er sauste mir nicht mehr in den Ohren. Es war, als ob ich aus einem Flugzeug in einen Ballon gekommen wäre. Ich schwebte und flog noch; aber der Lärm der Motoren war verstummt.
    ›Wie heißt du jetzt?‹ fragte Helen.
    ›Josef Schwarz.‹ Sie grübelte einen Augenblick.
    ›Heiße ich dann jetzt auch Schwarz?‹
    Ich mußte lächeln. ›Nein, Helen. Es ist nur irgendein
    Name. Der Mann, von dem ich ihn habe, hatte ihn auch schon geerbt. Ein ferner, toter Josef Schwarz lebt wie der ewige Jude in mir bereits in der dritten Generation weiter. Ein fremder, toter Geistesahne.‹
    ›Du kennst ihn nicht?‹
    ›Nein.‹
      ›Fühlst du dich anders, seit du einen anderen Namen hast?‹
      ›Ja‹, sagte ich. ›Weil ein Stück Papier dazugehört. Ein Paß.‹
    ›Auch wenn er falsch ist?‹
      Ich lachte. Es war eine Frage aus einer anderen Welt. Wie falsch und wie echt ein Paß war, lag an dem Polizisten, der ihn kontrollierte. ›Man könnte darüber eine philosophische Parabel erfinden‹, sagte ich. ›Sie müßte damit beginnen, zu untersuchen, was ein Name ist. Ein Zufall oder eine Identifikation.‹
      ›Ein Name ist ein Name‹, erwiderte Helen plötzlich störrisch. ›Ich habe meinen verteidigt. Es war deiner. Jetzt kommst du und hast irgendwo einen anderen gefunden.‹
      ›Er ist mir geschenkt worden‹, sagte ich. ›Es war das kostbarste Geschenk der Welt für mich. Ich trage ihn mit Freude. Er bedeutet Güte für mich. Menschlichkeit. Wenn ich verzweifeln sollte, irgendwann, wird er mich daran erinnern, daß Güte nicht tot ist. Woran erinnert dich deiner? An ein Geschlecht preußischer Krieger und Jäger mit dem Weltbild von Füchsen, Wölfen und Pfauen.‹
      ›Ich habe nicht vom Namen meiner Familie gesprochen‹, erwiderte Helen und ließ einen Pantoffel auf ihren Zehen balancieren. ›Ich trage auch noch deinen. Den früheren, Herr Schwarz.‹
    Ich öffnete die zweite Flasche Wein. ›Man hat mir
    erzählt, daß es in Indonesien Sitte sei, ab und zu die Namen zu wechseln. Wenn jemand seiner Persönlichkeit müde wird, wechselt er sie, ergreift einen neuen Namen und beginnt ein neues Dasein. Eine gute Idee!‹
    ›Hast du ein neues Dasein angefangen?‹
    ›Heute‹, sagte ich.
      Sie ließ den Pantoffel auf den Boden gleiten.

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