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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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geantwortet, daß ich ihretwegen zurückgekommen sei, aber ich konnte es im Augenblick nicht. Es war nicht so einfach. Ich erkannte plötzlich - und ich erkannte es erst in diesem Augenblick -, daß es eine ruhige, klare Verzweiflung gewesen war, die mich zurückgetrieben hatte. Alle meine Reserven waren aufgebraucht, und der nackte Wille zu überleben nicht stark genug gewesen, dem Frost der Einsamkeit länger standhalten zu können. Ich war nicht fähig gewesen, mir ein neues Leben aufzubauen. Ich hatte es im Grunde auch wohl nie wirklich gewollt. Ich war mit meinem früheren Leben längst nicht fertig geworden; ich hatte es weder verlassen noch überwinden können; Gangräne hatte eingesetzt, und ich hatte die Wahl gehabt, im Gestank der Gangräne zu krepieren oder zurückzugehen und zu versuchen, sie zu heilen.
    Ich hatte das alles nie genau überlegt, und es war mir
    auch jetzt nur in Umrissen klar; aber ich war wie erlöst, wenigstens das zu wissen. Die Schwere und Verlegenheit wich. Ich wußte jetzt, weshalb ich hier war. Ich hatte nichts aus den fünf Jahren Exil mitgebracht als meine geschärften Sinne, die Bereitschaft zu leben und die Vorsicht und Erfahrung eines flüchtigen Verbrechers. Das andere hatte Bankrott gemacht. Die vielen Nächte zwischen den Grenzen, die grauenhafte Langeweile des Daseins, das nur um etwas Essen und ein paar Stunden Schlaf kämpfen darf, die Maulwurfsexistenz unter Grund - sie versanken ohne Spur, während ich hier auf der Schwelle meiner Wohnung stand. Ich hatte zwar Bankrott gemacht, aber ich brauchte keine Schulden zu übernehmen. Ich war frei. Das Ich dieser Jahre hatte Selbstmord begangen, als ich die Grenze überschritt. Es war keine Rückkehr. Ich war tot, ein anderes Ich lebte, und es lebte von geschenkter Zeit. Keine Verantwortung war mehr da. Die Gewichte fielen ab.«
      Schwarz wandte sich mir zu. »Verstehen Sie, was ich meine? Ich wiederhole mich und rede in Gegensätzen.«
      »Ich glaube schon, daß ich Sie verstehe«, erwiderte ich. »Die Möglichkeit zum Selbstmord ist eine Gnade, deren man sich nur selten bewußt wird. Sie gibt einem die Illusion des freien Willens. Und wahrscheinlich begehen wir mehr Selbstmorde, als wir jemals ahnen. Wir wissen es nur nicht.«
      »Das ist es!« sagte Schwarz lebhaft. »Wenn wir sie nur als Selbstmorde erkennen würden! Dann hätten wir die Fähigkeit, auch wieder von den Toten aufzuerstehen. Wir könnten mehrere Leben leben, anstatt die Geschwüre der Erfahrung von einer Krise zur anderen weiterzuschleppen und schließlich daran einzugehen.«

    »Ich konnte das Helen natürlich nicht erklären«, fuhr er fort. »Es war auch nicht notwendig. Ich hatte mit der Leichtigkeit, die ich plötzlich empfand, nicht einmal das Bedürfnis. Im Gegenteil: ich spürte, daß Erklärungen nur verwirren würden. Sie wollte wahrscheinlich, daß ich sagen sollte, ich wäre ihretwegen zurückgekommen; aber ich wußte, mit meiner neuen Hellsichtigkeit, daß das mein Verderben gewesen wäre. Die Vergangenheit wäre dann über uns hereingebrochen mit all den Argumenten von Schuld und Versäumnis und gekränkter Liebe, und wir hätten nie herausgefunden. Wenn die, jetzt fast heitere, Idee des geistigen Selbstmordes einen Sinn hatte, dann mußte sie auch vollständig sein, und sie mußte nicht nur die Jahre des Exils, sondern auch die Jahre davor umfassen, sonst wäre die Gefahr einer zweiten Gangräne dagewesen, einer älteren sogar, und sie hätte sich sofort gezeigt. Helen stand da, ein Feind, bereit, zuzuschlagen mit Liebe und großer Kenntnis meiner verteidigungslosen Stellen, und ich wäre so sehr im Nachteil gewesen, daß ich keine Chance gehabt hätte. Hatte ich vorher das erlösende Gefühl eines Todes gehabt, so wäre es jetzt ein quälendes moralisches Krepieren geworden - nicht mehr Tod und Auferstehung, sondern gründliche Vernichtung. Man soll Frauen nichts erklären; man soll handeln.
      Ich ging auf Helen zu. Als ich ihre Schulter berührte, fühlte ich, wie sie bebte. ›Warum bist du gekommen?‹ fragte sie noch einmal.
      ›Ich habe es vergessen.‹ erwiderte ich. ›Ich bin hungrig, Helen. Ich habe den ganzen Tag nichts gegessen.‹
      Neben ihr auf einem kleinen, bemalten italienischen Tisch stand in einem silbernen Rahmen die Fotografie eines Mannes, den ich nicht kannte, ›brauchen wir das noch?‹ fragte ich.
      ›Nein‹, sagte sie überrascht. Sie nahm die Fotografie und schob sie in die Schublade des

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